Es ist August und ich friere.
„Island? Im Sommer in die Kälte? Bist du verrückt?!“. Die Worte einer Freundin klingen mir in den Ohren, während ich mein Gesicht zur Sonne drehe um noch ein bisschen Wärme aufzusaugen. Dringend nötig, denn es ist mit etwa 8°C einer der kältesten Sommer seit vielen Jahren auf der Insel.
„Verrückt ist gut!“, denke ich mir und drehe mich grinsend zu dem schlacksigen Rappen um, der mit rührender Zartheit meine Haarspitzen frisst. Noí heißt er. Meine Gastgeberin Hlín nennt ihn nur „das Elfenpferd“. Als ich ihn mir so anschaue, wie er mit seinen großen, dunklen Augen, den langen Ohren und dem krummen Näschen vor mir steht, wundert mich das nicht. Er wirkt fast wie aus einer anderen Welt. „Außerdem sieht er hinter jedem Stein einen Elfen“, sagt Hlín. Und Steine gibt es viele hier in Island. Es wird also eine spannende Tour werden.
Hlíns Hof und Reitschule Yogihorse liegt inmitten des Skagafjords im Norden Islands. Diese Gegend ist das Zentrum der isländischen Pferdezucht und eine der trockendsten Regionen des Landes. Nach einer Woche strahlendem Sonnenschein glaube ich das gerne und es tröstet mich etwas über die wenig sommerlichen Temperaturen hinweg. Der kleine Hof liegt nahe der Steilküste, inmitten einer weiten, mit spärlichen Gräsern und Sträuchern bewachsenen Ebene umgeben von steilen Berghängen. Wobei die Bezeichnung „Berge“ nicht ganz korrekt ist. Es ist der Rand des isländischen Hochlands, das einen großen Teil der Fläche des Landesinneren ausmacht und unbewohnt ist. Ich ertappe mich des Öfteren dabei, wie ich die steilen Hänge hinaufblicke bis zu den seltsam abgeschnitten wirkenden Spitzen und mir vorstelle, die nordischen Götter oder ein, zwei Trolle würden von dort auf uns hinabblicken. In einem Land, das einen offiziellen Elfenbeauftragten hat und in dem der Großteil der Bevölkerung an das Huldufólk (das verborgene Volk) glaubt, liegen solche Gedanken nie fern.
Island zu beschreiben fällt mir schwer. Ich schwanke zwischen Ehrfurcht vor der rauen Schönheit des Landes und Erleichterung, dass ich nicht hier leben muss. Es ist ein beeindruckendes Land, an manchen Stellen atemberaubend, an anderen fast feindselig wirkend. Man spürt, dass der Mensch Gast ist, dass die Natur noch Macht hat. Naturschutz ist hier bei Vielen kein großes Thema, es sind die Menschen, die sich schützen müssen. Und wie es die Isländer seit Jahrhunderten tun, wollen wir dieses raue, wilde Land vom Rücken der Pferde aus entdecken.
Hlín bietet auf Yogihorse keine „klassischen Touristentouren“ an, sondern längere Ausritte in die Umgebung kombiniert mit hochwertigem Reitunterricht auf hervorragend ausgebildeten Islandpferden. Eine perfekte Kombination für alle, die von einem Reiturlaub mehr erwarten als nur von abgestumpften Touristenpferden durch die Landschaft getragen zu werden.
Unser Plan heute ist, tief in die grünen Täler des Fjordes hineinzureiten. Hier leben im Sommer etwa 450 Pferde der umliegenden Züchter, bis sie im Herbst gemeinsam mit den Schafen wieder zusammengetrieben werden. Die Pferde teilen sich in einzelne Herdenverbände auf und durchstreifen frei das mehrere Quadratkilometer große Tal. Hlín erzählt, dass in den Sommermonaten häufig Freundschaften zwischen Pferden unterschiedlicher Züchter entstehen, die dann im Herbst wieder getrennt werden müssen. Ich stelle mir dramatische Abschiedsszenen beim Pferdeabtrieb vor.
Während ich tagträumend in der Sonne stehe, hat Hlín Reitpferd und Handpferd sortiert und ist bereit aufzubrechen. Ich rücke meine Mütze zurecht, ziehe den Helm an und schwinge mich auf Noí. Es kann losgehen.
Nach nur wenigen Minuten in entspanntem Schritt durch das moosbewachsene Lavageröll treffen wir auf unsere erste Hürde. Ein schnell fließender Gletscherfluss zerteilt das Land. Die Brücke, die ihn überspannt, hat schon bessere Tage gesehen. „Die Brücke liegt an keiner offiziellen Straße, deshalb kümmern sich die Bauern der Umgebung selbst um ihre Instandhaltung“, erzählt mir Hlín.
Es sind Löcher in den Holzbohlen.
„Keine Sorge, die Brücke ist sicher, reite einfach zügig hinter mir her und halte dich in der Mitte“. Mit klopfendem Herzen lenke ich mein Elfenpferd in Richtung Fluss. Die Hufe von Hlíns Pferden poltern bereits dumpf auf den Holzbrettern, fast übertönt vom Donnern des Flusses. Ich atme einmal tief ein und aus, versuche mein Angsthasenherz zu beruhigen und reite auf die Brücke.
Sie hält. Natürlich hält sie!
Mit dieser einzigartigen Mischung aus Aufregung und Begeisterung, wenn das Herz schneller schlägt und man laut lachen möchte, blicke ich hinab in den Fluss. Mit einem Elfenpferd auf wackligen Brücken tosende Gletscherflüsse überqueren, den Wind um die Nase und die Sonne im Rücken, so habe ich mir Island vorgestellt.
Im flotten Tölt geht es weiter in Richtung Berge. Noí legt ein spritziges Tempo vor, mein Adrenalinstoß an der Brücke ist wohl nicht spurlos an ihm vorbei gegangen. Oder vielleicht flüstert ihm eine Elfe ins pelzige Ohr, dass am Ende des Weges saftiges Gras auf ihn wartet. Etwas überrumpelt muss ich mich erst mal locker machen. Einmal tief atmen, die Schultern fallen und die Hüfte mitschwingen lassen, schon wird der Tölt butterweich. Ich genieße das rasante Tempo auf der weiten Ebene und freue mich über Noís aufmerksames Ohrenspiel. Selten fühle ich mich so unbeschwert und frei, wie in diesem Moment.
Zwischen Bergen und Fluss windet sich unser Weg durch moosbewachsenes Lavagestein und entlang stiller, spiegelnder Seen. Abgesehen vom Hufschlag unserer Pferde und dem Rauschen des Windes herrscht Stille. Keine Autos, Radios, unterschwellig summende Elektrogeräte. Keine klingelnden Handys. Kein Vogelgezwitscher. Seltsam fühlt sich das an. Fremd. Fast als hätte man die Welt auf Stumm geschaltet. Gleichzeitig ist es aber auch eine seltene Erleichterung. Endlich Stille. Den eigenen Gedanken nachhängen können, ohne unterbrochen zu werden, ohne ständig erreichbar zu sein.
Im Schritt reiten wir an einer mit Blumen bepflanzten Toilettenschüssel vorbei. Hlíns Nachbar hat eine etwas eigene Vorstellung von Landschaftsgärtnerei. Noí dreht eines seiner Ohren zu mir und schaut mich aus dem Augenwinkel an. Ich spüre wie er seine Energie sammelt und seine Tritte verkürzt. Sein Vorschlag ist klar. Hlín und ich grinsen uns an und lassen unsere Pferde mit einem leisen Schnalzen zum Tölt wechseln. Nach einem Tränen in die Augen treibenden Galopp über eine Wiese geht es zurück in Richtung Küste.
Am Nachmittag ziehen die Hochlandtrolle ihre Bettdecken über den Fjord: Hochnebel verdeckt die Bergspitzen und bildet ein dichtes weißes Dach über uns. So sehr ich die Sonne liebe, die isländischen Täler im Nebel haben eine ganz eigene mystische Schönheit. Und obwohl mein Elfenpferd während unsere Rittes hinter keinem einzigen der vielen Steine eine Elfe gesehen hat, kann ich mir nicht verkneifen doch ein kleines bisschen an die isländischen Geschichten zu glauben.
Nach unserem Ritt laden wir zwei von Hlíns Jährlingen in den Hänger und fahren in Richtung Pferdetal. Sie sollen dort zusammen mit den anderen Pferden den Rest des Sommers verbringen. Kaum haben wir die asphaltierte Ringstraße verlassen, wird der Weg abenteuerlich. Es geht über eine schmale Schotterpiste mit tiefen Schlaglöchern über einen Hügelkamm ins Tal. Ich bin froh, dass ich nicht fahren muss und halte mich weiter am „Oh Mist“-Griff fest (du weißt schon, dieser Griff im Auto über der Tür).
Nach einigen ungemütlichen Minuten, nur unterbrochen von kurzen Stops um Schafstore zu öffnen, halten wir am Rand des Tals. Rechts von uns erheben sich die Steilhänge des Hochlands, links von uns fällt das grasbewachsene Land sanft ab bis zu einem verästelten Flussbett.
Ich ziehe meine Handschuhe an und steige aus, während Hlín die Hängerklappe öffnet und die Ponys hinaus lässt. Auf der anderen Seite des Flusses erkenne ich kleine Figuren in der Ferne. Eine Herde von etwa 20 Pferden hat sich dort zum Trinken und Grasen zusammengefunden. Dorthin sollen die zwei kleinen Jährlinge also.
„Da müssen sie ja den Fluss überqueren“, sage ich zu Hlín und schaue zu dem Fuchs und dem Rappen, die mein Herz mit ihren Babygesichtern im Sturm erobert haben. „Das machen die schon früher oder später“, sagt sie, „es gibt eine flache Stelle wo sie gut durchkommen sollten“. Ich denke an die vielen Pferdehalter in Deutschland, die in solch einer Situation vor Entsetzen Schnappatmung bekämen.
Es ist schon ein anderes Leben in Island, nicht nur für die Menschen, auch für die Pferde. Wenn die Pferde sich aussuchen könnten, wie sie leben möchten, dann vermutlich genau so. In der Herde, mit Wind in der Mähne, Gras unter den Hufen und fast endlosem Land, das sie durchstreifen können.
Noch mehr rund um meinen Reiturlaub in Island, inklusive Empfehlungen und Tipps, gibt es hier, hier und hier.
Liebe Christina, wie wunderbar. So schön zu lesen … Ich habe Fernweh. ☺️ Habe eine Reitbeteiligung an einem älteren auf der Insel geborerenen Isi und möchte irgenwann unbedingt mal seine Heimat besuchen. Weite, Wind, Stille … Das klingt herrlich. Danke für deinen Artikel. 😄
Danke für die nette Worte liebe Simone! <3
Ich kann Island wirklich nur jedem empfehlen, es ist einfach wunderschön!
Liebe Grüße,
Christina