
Am letzten Wochenende war ich eingeladen zum Morgentraining von Anja Beran im Allgäu. Frau Beran ist Ausbilderin der klassischen Dressur und hat unter anderem von Manuel Jorge de Oliveira gelernt. Auf Gut Rosenhof bildet sie Pferde aus dem In- und Ausland aus, zum Beispiel für den Zirkus Krone.
Warum ich Dir das erzähle?
Weil ich in den zwei Stunden Morgentraining mehr harmonische, schöne und feine Reiterei gesehen habe als auf jedem Turnier der letzten Jahre – und auch auf den heimischen Reitplätzen.
Entspannte, zufriedene Pferde in ruhiger, gelassener Stimmung, die die Lektionen der Hohen Schule mit Leichtigkeit zeigen. Und es sind keine „perfekten“ Pferde: sie haben körperliche Defizite oder schwierige Vorgeschichten. Durch eine korrekte Gymnastizierung und ganz individuell abgestimmtes Training wurden diese Defizite verringert und die Pferde können gesund geritten werden.
Die Morgenarbeit ist für Besucher geöffnet und kostet 20€ Eintritt. Der nächste Termin ist am 5. Juli. Ich kann jedem nur empfehlen mal vorbeizuschauen! Frau Beran kommentiert die Arbeit und gibt viele praktische Tipps und Denkansätze.
Lesetipp: Auch Alessa Neuner war in der Morgenarbeit und hat eine tolle Zusammenfassung geschrieben.
Das Ziel der Dressur – so sollte es sein!
Die Dressur ist ausschließlich für das Pferd da. Sie soll auf natürlichen Bewegungen des Pferdes basieren. Sie soll das Pferd gesund erhalten. Sie soll ihm helfen den Reiter zu tragen. Und sie soll es mit stolzer Ausstrahlung erfüllen. Der Reiter ist der Physiotherpeut des Pferdes.
Keine Lektion der Dressur sollte zum Selbstzweck durchgeführt werden. Jede der Lektionen hat einen Sinn, sei es Muskelaufbau oder Gymnastizierung.

Deshalb geht die Dressur jeden Reiter an, ganz egal, was er mit seinem Pferd macht, ob er Turnier- oder Freizeitreiter ist, Western reitet oder springt! Egal ob er ein Warmblut, einen Spanier, einen Isländer oder einen Noriker hat!
Leider muss man oft lange suchen, bis man einen Reitlehrer findet, der die Lektionen richtig einsetzt und diese dann auch noch verständlich erklärt. Stattdessen werden nur zu oft Befehle gebrüllt und auf Nachfrage warum man etwas tun soll kommt keine oder eine unbefriedigende Antwort.
Und mit den „Vorbildern“ im Spitzensport sieht es auch nicht besser aus. Eingerollte Pferde mit stumpfem Blick, Piaffen auf der Vorhand gestampft und kaum vorhandener Losgelassenheit. Pferde mit körperlichen Defiziten sieht man im Spitzensport nicht, nur die von Natur aus perfekt Gebauten schaffen es auf den Turnierplatz – alle anderen können mit der Standard „Hau-Ruck“-Methode nicht zu solchen Leistungen gebracht werden.
Und genau das widerspricht doch dem Ziel der Dressur! Soll nicht jedes Pferd gesund geritten werden?
Was sagt es über eine Ausbildungsmethode aus, wenn es nur die Besten 5% schaffen und der Rest aussortiert wird?
Die heutige Dressur stammt vom Militär – und das ist ein Problem
Als die Pferde noch vom Militär genutzt wurden, war eines besonders wichtig: sie mussten gelenkt, gebremst und schnell vorwärts geritten werden können. Mehr nicht, denn mehr hat man im Kampf nicht gebraucht.
Mehr wurde auch den Soldaten in der Regel nicht beigebracht. Diese Grundausbildung nannte man die Kampagneschule.
Die Ausnahme waren besonders talentierte Soldaten: diese wurden auf gut augebildeten Pferden weiter unterrichtet und erlernten die Hohe Schule der Reiterei. Dazu gehörte nicht nur das Reiten, sondern auch das Erlernen von Fremdsprachen, Anatomie und das Entwickeln von gutem Charakter und Moral. Diese Reiter lernten dann auch Piaffe, Pirouetten, Levade und ähnliches.
Mit dem Ende des Pferdeeinsatzes im Militär geriet jedoch das Wissen der Hohen Schule etwas in Vergessenheit. Übrig blieb die Reiterei der Kampagneschule – denn es gab für sie deutlich mehr Lehrer als für die anspruchsvolle Hohe Schule.
Die heutigen Turniere entstanden aus Prüfungen der Kampagneschule. In diesen Prüfungen wurde getestet, wie gut sich das Pferd „händeln“ lässt. Sie bestanden aus einfachen Lektionen die den Gehorsam des Pferdes abfragten und hatten mit den heutigen Turnieren wenig zu tun. Mit der Zeit entwickelten sie sich jedoch weiter: die Soldaten der Kampagneschule sahen die Lektionen der Hohen Schule und integrierten diese in ihre Turniere. Sie hatten jedoch nicht das Wissen, ihre Pferde nach den Grundlagen der Hohen Schule auszubilden.
Und genau das ist heute unser Problem: es werden Lektionen geritten und gezeigt, ohne den Sinn dahinter zu beachten und das Wohl des Pferdes zum Ziel zu haben. Die Dressur ist zum Selbstzweck verkommen, zu einem Mittel um Geld zu verdienen – ungeachtet der Auswirkungen für das Pferd.
Was bedeutet das also für Dich und Dein Pferd?
Ganz einfach: befasse Dich mit der klassischen Dressur, der Hohen Schule.
Wenn Du Dein Pferd gesund erhalten willst und Dir sein Wohl am Herzen liegt kommst Du nicht darum herum.
Du hast die Verantwortung für die Gesundheit Deines Pferdes! Es hat nur dieses eine Leben bei Dir, also ist es Deine Pflicht ihm dieses so angenehm wie möglich zu machen. Wenn Du nicht dazu bereit bist Zeit und Geld in Deine und seine Ausbildung zu investieren solltest Du Dich fragen warum Du überhaupt ein Pferd hast bzw. reitest. Das mag nun hart klingen, aber manchmal müssen auch unangenehme Wahrheiten ausgesprochen werden.

Ich selbst zähle mich zu den Freizeitreitern und ich weiß, dass unter uns viele denken „Dressur ist nichts für mich und mein Pferd, das ist doch nur Quälerei!“. Ich kann das verstehen, denn das, was man im Fersehen oder auf den Turnierplätzen sieht ist meist kein schöner Anblick.
Es ist aber genauso falsch, sein Pferd einfach nur vor sich hin laufen zu lassen und nichts zu tun. Auch diese, gut gemeinte aber falsch umgesetzte, Pferdeliebe schadet dem Pferd, denn es wird nicht darauf vorbereitet und dazu befähigt den Reiter zu tragen.
Reitest Du zum Beispiel ein Pferd, welches nie geradegerichtet wurde, über einen langen Zeitraum, so wird es deutlich früher Beschwerden und Versschleiß an Knochen, Sehnen und Gelenken haben als ein passend geradegerichtetes Pferd.
Ich weiß, das klingt nun – je nach Deinem Wissensstand – nach einer großen Aufgabe. Ich möchte auch nicht lügen und behaupten es wäre ganz einfach, denn das ist es nicht. Es ist ein langer Weg. Aber es lohnt sich ihn zu gehen und Du weißt ja, nichts was es wert ist zu besitzen bekommt man einfach so. Und eigentlich musst Du nur einen kleinen Schritt nach dem anderen machen!
Diesen Weg musst Du auch nicht alleine gehen, such Dir einen Trainer. Und auch das kann eine Weile dauern. Ich habe aktuell auch niemanden, der mir wöchentlichen Unterricht geben könnte. Dafür besuche ich Wochenendkurse. Die sind zwar teurer, aber oft lerne ich dort mehr in drei Tagen als bei einem mittelmäßigen Trainer in drei Jahren.
Um erkennen zu können, ob ein Trainer gut ist, ist es wichtig, dass Du Dich ein bisschen mit den Grundsätzen der klassischen Reitweise auskennst. Zu diesem Thema gibt es ein paar Bücher, die ich Dir empfehlen möchte:
- Klassische Reitkunst mit Anja Beran: Eine Anleitung für verantwortungsvolles Reiten*
- Irrwege der modernen Dressur: Die Suche nach der klassischen Alternative – Philippe Karl*
- Das Gymnasium des Pferdes – Gustav Steinbrecht* (Achtung! Das Buch ist von 1887 und dementsprechend keine leichte Lektüre)
- Finger in der Wunde. Was Reiter wissen müssen, damit ihr Pferd gesund bleibt – Gerd Heuschmann*

Und dann solltest Du unbedingt darauf achten, dass Dein Trainer erst mal Dein Pferd und seine (körperlichen) Probleme analysiert und danach einen individuellen Trainingsplan erstellt um an diesen Problemen zu arbeiten. Genauso sollte er übrigens auch Deine Probleme analysieren und mit einbeziehen!
Lesetipps: Bei den Pferdefreunden gibt es einen schönen Artikel über Dressur und Freizeitreiter.
Auf Kultreiter fragt sich Line, was aus der Dressur geworden ist.
Fazit
Ich kann es gar nicht oft genug betonen: wenn Du reitest brauchst Du die Dressur!
Und zwar nicht ohne Sinn und Verstand und möglichst schnell und ohne Arbeit, sondern abgestimmt auf Dein Pferd! Du würdest ja auch in einer Gymnastikstunde genau das trainieren, was Dir schwerfällt und nicht das, was alle machen oder auf jemand anderen abgestimmt ist. Das wäre verrückt – beim Pferd ist es nicht anders.
Ich weiß, das ist Arbeit. Und ich weiß, es ist einfacher davor die Augen zu verschließen und so weiter zu machen wie bisher. Deshalb appelliere ich an Deine Liebe zum Pferd: wenn Dir das Wohl Deines Pferdes am Herzen liegt dann befasse Dich mit dem Thema und mache heute schon den ersten Schritt! Zum Beispiel in dem Du ein Buch liest oder Dich nach Kursen oder Ausbildern umsiehst.
* Wie immer geht es mir hier nicht darum, eine bestimmte Sparte der Reiterei an den Pranger zu stellen oder alle über einen Kamm zu scheren! Trotzdem müssen auch mal solche Sachen ausgesprochen werden dürfen, wir alle wollen doch das Leben unserer Pferde und die Entwicklung der Reitkunst zum positiven wenden. Da muss ein bisschen Reflektionsfähigkeit auch drin sein. *
Was hälst Du von der modernen Dressur? Oder reitest Du sogar schon nach der klassischen Reitweise? Hast Du vielleicht Empfehlungen für gute Ausbilder? Wie immer freue ich mich sehr über alle Fragen und zusätzlichen Infos in den Kommentaren!