
In letzter Zeit habe ich viele Emails mit Fragen zu „klebenden“ Pferden bekommen. Pferde, die man nur schwer von der Koppel holen kann, weil sie nicht mitgehen wollen oder einen über den Haufen rennen. Pferde, die durch Zäune brechen, um nicht alleine zurückgelassen zu werden. Pferde, die kaum reitbar sind, weil sie nur zum Koppelkollegen zurückwollen.
Eure Fragen sind mir wichtig, deshalb werde ich das Thema in einer Artikelserie etwas näher beleuchten. In diesem ersten Artikel erkläre ich, woher die Trennungsangst kommt und wo man dieses Verhalten in einer Pferdeherde sieht. Außerdem gehe ich auf den ersten Schritt in meinem Trainingsplan ein, das richtige Führen. In den folgenden Artikeln geht es dann um Schrecktraining, Arbeit im Roundpen und Arbeit im Sattel. Zu jedem Punkt werde ich ein Beispiel zu Problemen aus der Praxis geben.
Wie immer möchte ich betonen, dass das meine Art ist mit dem Problem umzugehen. Das bedeutet nicht, dass es nicht auch anders geht, oder dass ich alles perfekt mache!
Und weil beim Umgang mit Pferden so gut wie nichts neu erfunden wird, sondern alle die alten und neuen Meister studieren, möchte ich auch gerne sagen, von wem ich die Vorgehensweise gelernt habe: Warwick Schiller. Wenn Du Englisch verstehst kann ich Dir seine Videos nur empfehlen! Ich finde nicht alles gut was er macht, aber das geht mir bei so gut wie jedem Trainer so.
*Das Nachmachen dieser Tipps geschieht auf eigene Gefahr! Ich rate jedem, der sich nicht schon ausführlicher mit den Themen Bodenarbeit und Schrecktraining befasst hat einen Profi zur Unterstützung zu Rate zu ziehen. Diese Dinge falsch zu machen kann sehr schnell gefährlich werden. Und wie immer gilt: Wenn Du mit Deinem Vorgehen das Problem schlimmer machst oder die Situation auch nur ansatzweise gefährlich wird hör auf!*
Woher kommt Trennungsangst beim Pferd?
Die meisten Pferde mit Trennungsangst verhalten sich wie Fohlen. Wenn Du bei ihnen bist, bzw. sie mit einem anderen Pferd zusammenstehen, ignorieren sie Dich und sind abgelenkt. Sobald sie aber alleine gelassen werden verfallen sie in Panik.
Genau so interagiert ein Fohlen mit seiner Mutter: ist sie bei ihm, lehnt es sich gegen sie und schaut sich eingebildete oder echte Gefahren an. Seine Mutter ignoriert es dabei völlig. Ist die Mutter dann aber plötzlich ein Stück entfernt bekommt es Panik und rennt wieder zurück zu ihr um sich erneut an sie zu „kleben“.
Nun bist Du aber ein Mensch und kein Pferd. Wenn sich Dein 500kg Pferd gegen Dich lehnt oder nicht auf Dich achtet kann das sehr schnell sehr unangenehm werden. Wenn Du schonmal ein klebendes Pferd von seinen Kollegen weggeführt hast weißt Du sicher was ich meine.
Übrigens: Kein anderes Pferd würde es zulassen, dass Dein Pferd sich auf diese Art an es lehnt!
Behandelt Dich Dein Pferd wie seine Mutter?
Wenn Du Dein Pferd führst…
- … schaut es in der Gegend herum und achtet wenig auf Dich
- … läuft es manchmal schneller als Du und lässt sich schlecht bremsen
- … läuft es in eine andere Richtung als Du und versucht Dich mitzuziehen
- … rempelt es Dich ab und zu an
- … erschrickt es öfter mal
- … rückt es Dir auf die Pelle (wenn Du stehen bleibst läuft es Dir in die Hacken oder einfach weiter)
Wenn Du die meisten dieser Fragen mit „Ja“ beantworten kannst behandelt Dich Dein Pferd wie ein Fohlen seine Mutter und nicht wie einen gleichgestellter Partner.
Möglicherweise ist die Trennungsangst auch nicht euer einziges Problem. Häufige weitere Probleme bei Pferden mit Trennungsangst sind:
- Dein Pferd kann nicht angebunden werden, bzw. steht angebunden nie still
- Dein Pferd schiebt Dich beim Putzen mit dem Hinterteil aus dem Weg wenn es sich etwas ansehen will
- Dein Pferd erschrickt oft
- Dein Pferd geht durch oder buckelt
- Dein Pferd lässt sich nicht gut führen
- Dein Pferd lässt sich nicht gut verladen
- …
Was tue ich also gegen die Trennungsangst?
Die einfache Antwort: nichts!
Oder, um es besser auszudrücken: ich versuche nicht explizit die Trennungsangst wegzubekommen.
Diese Angst ist nämlich nur ein Symptom. Die Summe von vielen kleinen Dingen die schief laufen.
Wenn ich zunehme, hat das nicht nur eine Ursache. Ich esse zu viel, bewege mich zu wenig, habe zu viel Stress und schlafe zu wenig. Alle diese Dinge bewirken in der Summe, dass ich zunehme.
Genauso ist es mit der Trennungsangst. Dein Pferd hat mit vielen kleinen Dingen Probleme oder Sorgen. Diese verusachen in ihrer Summe die Angst. Um die Trennungsangst wegzubekommen, musst Du Dich also um die vielen kleinen Dinge kümmern, die Deinem Pferd Sorgen machen.
Trennungsangst besteht nur aus ein bisschen „Trennung“ und viel „Angst“.
Um diese Ängste abzubauen beginne ich mit Bodenarbeit. Wenn die Bodenarbeit wirklich sitzt sollte die Trennungsangst kein großes Thema mehr sein.
Wozu Bodenarbeit?
Mit jedem Pferd, welches ich über einen längeren Zeitraum reite, starte ich mit der Bodenarbeit. Das bedeutet für mich:
- Das Pferd lernt zu lernen und sich durch Probleme durchzudenken. Ich lasse es Fehler machen und selbst die Lösung eines Problems finden.
- Das Pferd lernt, seinen Fokus auf mich und das hier und jetzt zu richten. Besonders klebende Pferde haben große Probleme damit, sich zu konzentrieren. Sie schauen von A nach B nach C und reagieren auf jede noch so kleine Ablenkung. Deshalb rempeln diese Pferde auch oft den Menschen an, der sie führt: Sie sind so beschäftigt damit, in der Gegend herumzugucken, dass sie den Menschen komplett vergessen.
- Das Pferd lernt mit „gruseligen“ Dingen umzugehen und ruhig zu reagieren, anstatt in Panik zu verfallen.
- Das Pferd lernt, dass ich konsequent und in meinem Handeln konstant und verlässlich bin.
Vom Boden aus zu starten ist erst mal ungefährlicher als sich auf ein besorgtes Pferd zu setzen. Und: was am Boden nicht klappt wird im Sattel erst recht nicht funktionieren!
Mein Trainingsplan für klebende Pferde sieht so aus:
1. Richtig Führen
Über die korrekte Führposition gibt es viele Meinungen und Diskussionen. Mir ist die Position des Pferdes egal – solange es nicht zu Nahe bei mir oder vor mir läuft. Meistens laufen meine Pferde von selbst schräg hinter mir.
Den Strick halte ich etwa 1,5 Meter vom Pferdekopf entfernt und lasse ihn durchhängen. Ich sehe viele Leute, die den Strick direkt unterm Kinn des Pferdes greifen und hoffen es somit mehr unter Kontrolle zu haben. Das solltest Du nicht tun. Dadurch stehst Du nämlich automatisch sehr nahe am Pferd und genau das wollen wir vermeiden. Nahe am Pferd zu führen bedeutet, dass Du schnell wieder in diese Fohlen-Mama-Situation kommst: Dein Pferd sieht irgendwo ein Gespenst und lehnt sich gegen Dich oder springt sogar gegen Dich wenn es scheut.
Du hälst nun also den Strick ausreichend vom Pferdekopf entfernt. Der nächste Schritt ist, Deinem Pferd verständlich zu machen, dass es sich mehr auf Dich konzentrieren und Dich nicht umrennen soll. Sobald Du den Eindruck hast, dass Dein Pferd Dir zu nahe kommt, schwingst Du das Ende des Stricks (etwa einen Meter) energisch um Dich herum. Am besten drehst Du Dich dabei nicht einmal um. Dabei geht es nicht explizit darum Dein Pferd zu treffen. Wenn es getroffen wird war es zu nahe, wenn nicht ist das noch besser, denn dann hat es genug Abstand gehalten.
Ich höre in Gedanken schon die ersten rufen „die haut das arme Pferd“. Darum geht es wie gesagt nicht! Du schwingst den Strick nur in dem kleinen Umkreis um Dich herum. Dein Pferd kann diesen Umkreis jederzeit verlassen. Wenn es raus ist, wird es nicht mehr getroffen und Du verfolgst es auch nicht mit dem Strick! Du bleibst dabei ruhig und wirst nicht wütend. Es ist gut und in Ordnung wenn Dein Pferd Fehler macht, nur so kann es lernen.
Es geht hier nicht darum Dein Pferd zu bestrafen – es tut was es tut nicht aus bösem Willen – sondern um klare Kommunikation. Du „sagst“ Deinem Pferd, dass es Dir zu Nahe gekommen ist und mehr auf Dich achten muss.
Übrigens gehen die Pferde auf der Koppel auch nicht anders miteinander um: kommt das eine dem anderen zu Nahe – also in seinen engeren Umkreis – und es will das nicht, wird es treten.
Vorsicht vor falsch verstandener Pferdeliebe! Du tust Deinem Pferd keinen Gefallen wenn es Dich ständig über den Haufen rennen darf. Es wird damit für sein ängstliches Verhalten noch belohnt und seine Unsicherheit wird weiter steigen. Das ist kein angenehmer Zustand für Dein Pferd und für Dich und Andere potenziell gefährlich.
Als nächstes solltest Du sicherstellen, dass Dein Pferd seine Aufmerksamkeit bei Dir hat. Das erkennst Du zum Beispiel daran, dass sich ein Ohr immer wieder in Deine Richtung dreht.
Schaut Dein Pferd wild in der Gegend herum und irgnoriert Dich, drehe Dich herum und laufe zügig und bestimmt in die entgegengesetzte Richtung. Dein Pferd muss folgen und somit seine Aufmerksamkeit auf Dich richten. Es kann sein, dass Du das am Anfang ziemlich oft machen musst. Dein Pferd wird aber früher oder später mehr auf Dich achten, da es nun erwartet jederzeit die Richtung wechseln zu müssen.
Steht Dein Pferd und hat seine Aufmerksamkeit bei Dir, vergiss nicht es ein bisschen als Belohnung zu kraulen.
Was Du tun musst, wenn Dein Pferd einfach stehen bleibt und nicht weiter gehen will, habe ich bereits in meinem eBook beschrieben. Das eBook gibt es kostenlos bei der Newsletteranmeldung. (Wenn Du noch nicht angemeldet bist: am Ende des Artikels oder rechts in der Sidebar findest Du das Anmeldeformular)
Unterschätze nicht die kleinen Dinge wie das Führen! Sobald Du mit Deinem Pferd zusammen bist lernt es etwas. Ob das etwas Gutes, oder etwas Schlechtes ist liegt ganz bei Dir.
Lesetipp: Nadja von Pferdeverstehen hat sich auch schon Gedanken über das Führen und die Führposition gemacht.
Problem aus der Praxis:
„Sobald ich mein Pferd von der Koppel führe rennt es nur noch um mich herum und zieht zurück zur Koppel“
Die Lösung:
Führe Dein Pferd an einem ausreichend langen Strick und nimm eine Gerte mit. Wenn es beim Wegführen von der Koppel wie oben beschrieben reagiert, geh mit ihm zurück zur Koppel. Vor dem Eingang lässt Du es nun am Strick um Dich herum laufen, ähnlich als wolltest Du es longieren. Bei Bedarf kannst Du mit der Gerte treiben. Es ist dabei nicht wichtig, dass ihr an der selben Stelle bleibt, lass Dein Pferd hindriften wo es mag, aber es muss weiter arbeiten.
Du wirst früher oder später merken, dass Dein Pferd weg vom Koppeleingang driftet. Dann hörst Du sofort auf es zu treiben und gehst mit ihm weg von der Koppel, in die Richtung, in die es von sich aus läuft.
Wenn es ein paar Meter entfernt wieder anfängt zur Koppel zu ziehen macht ihr das Spielchen von vorne. Dann auch gerne an dieser Stelle – Du musst nicht den Weg zum Koppeltor zurück gehen.
Der Sinn dieser Sache ist es, Deinem Pferd den Platz am Koppeltor ungemütlich zu machen. Wenn es an diesem Platz ist muss es arbeiten. Wenn es von diesem Platz weggeht wird es in Ruhe gelassen und hat Pause. Die meisten Pferde lernen das sehr schnell.
Wichtig ist, dass Du nicht versuchst zu verhindern, dass Dein Pferd zur Koppel zurückzieht. Dein Pferd muss erst den „Fehler“ machen, bevor Du etwas dagegen tun kannst. Ansonsten lernt es nichts. Genauso wichtig ist es auch, dass Du Dein Pferd komplett in Ruhe lässt, wenn es in die richtige Richtung geht. Kein Zupfen am Strick, kein Schnalzen, kein Treiben mit der Gerte.
Ein paar Worte zu Druck
Ja, mit diesem Vorgehen setzt Du Dein Pferd unter Druck. Auch ich möchte meinen Pferden so wenig Druck wie möglich machen, bin aber der Meinung, dass es in manchen Situationen nicht ohne geht. Ein nervöses, ängstliches Pferd wird sich nur in den seltensten Fällen durch Leckerlis und Belohnung beruhigen lassen. (Wenn jemand andere Erfahrungen und Tipps hat: immer her damit!)
Die Probleme von klebenden Pferden sind in der Regel menschengemacht. Das Pferd kann nichts dafür. Deshalb ist es wichtig, dass Du immer fair, ruhig und freundlich bleibst. Nichts was Du tust darf Bestrafung sein und niemals solltest Du aus einem Gefühl der Wut heraus reagieren.
2. Schrecktraining
Im zweiten Artikel der Serie geht es um das Schrecktraining. Das ist einer der wichtigsten Punkte bei einem klebenden Pferd, den das Hauptproblem solcher Pferde ist Angst und Unsicherheit.
3. Arbeit im Roundpen – Hooking On
Im dritten Artikel der Serie geht es um die Arbeit im Roundpen. Das Pferd lernt im hier und jetzt zu sein und sich auf Dich zu konzentrieren. Klebenden Pferden fehlt meist der Fokus, sie sind sehr schnell abgelenkt und schaffen es nicht sich zu konzentrieren.
4. Arbeit im Sattel
Im vierten Artikel der Serie geht es um die Arbeit im Sattel. Hier erkläre ich was ich tue, wenn mein Pferd in der Halle oder auf dem Platz immer zu den anderen Pferden hinzieht oder zu nahe an ihnen kleben bleibt. Dieses Vorgehen lässt sich auch auf einen Ausritt übertragen, bei dem man einen anderen Weg reiten möchte als der Mitreiter und die Pferde sich trennen müssen.
Der Artikel ist nun doch länger geworden als geplant. Wenn irgendetwas unklar ist und Du Fragen oder Anmerkungen hast schreib mir einfach in den Kommentaren! Ich lese und beantworte selbstverständlich alle!