Ach wie schön einfach wäre es, wenn es eine Gebrauchsanweisung für Pferde gäbe. Eine einzig wahre Richtlinie, an der man sich entlangarbeiten kann. „Bewege Dich so, dann tut Dein Pferd dies, drücke diesen Knopf, dann tut es das.“
Ein „einzig wahrer Plan“, eine einfache Lösung – das wünschen sich Viele.
Jeden Tag bekomme ich Mails, in denen mich Leute nach konkretem Rat bei ihren Pferdeproblemen fragen. Und (fast) immer muss ich sie enttäuschen. Meine Standardantwort: „Es tut mir sehr leid, aber per „Ferndiagnose“, ohne Dich und Dein Pferd zu kennen und die konkrete Situation zu sehen, kann ich keine Tipps geben. Das ist genauso korrekt wie Kaffeesatz lesen. Bitte suche Dir einen kompetenten Reitlehrer vor Ort, der Dich unterstützen kann.“
Das ist sicher nicht das, was der oder die Schreibende lesen möchte. Aber in solch einer Situation konkrete Tipps zu geben und als richtig zu verkaufen halte ich für unverantwortlich!
Es gibt keinen „wahren, richtigen Weg“ im Umgang mit Pferden
Wir sind Individuen, unsere Pferde sind Individuen.
Was für den Einen gut ist, ist für den Anderen schlecht. Worauf der Eine gelangweilt reagiert, erschrickt der Andere. Wenn man einem bestimmten Pferd in einer bestimmten Situation dringend Grenzen setzen muss, ist das vielleicht bei einem anderen Pferd in der gleichen Situation genau die falsche Reaktion.
Es gibt allgemeingültige Grundprinzipien – ja (Anatomie, Biomechanik, Verhalten, …)! Aber einen einzig wahren Plan, der für alle stimmt? Nein.
Das heißt nicht, dass man keinen Plan haben sollte und chaotisch vor sich hinarbeitet. Ganz im Gegenteil: man braucht unbedingt einen Plan. Aber auch einen Plan B und am besten noch einen Plan C, falls Plan A und B nicht passen.
Das heißt für mich und Dich als Reiter: lernen, lernen und nochmals lernen! Auch mal über den Tellerrand schauen, neugierig sein und neues Wissen aufsaugen. Sich trauen Fragen zu stellen und auch mal zuzugeben, dass man nicht alles weiß und kann. Und auch genug Selbstreflektion zu besitzen, um zu erkennen, dass man nicht alles weiß und kann.
Miri von MeinFaible (toller Blog, unbedingt mal reinlesen!) spricht von einem Werkzeugkoffer, in dem man alles sammelt, was man gelernt hat. Und je nach Problem sucht man sich ein passendes Werkzeug. Genau so sehe ich das auch. Manchmal muss man auch für ein neues Pferd einen ganz anderen Werkzeugkoffer zur Hand nehmen: ich hatte und habe das Glück schon von vielen unterschiedlichen Pferden gelernt zu haben. Mit manchen habe ich geclickert, mit manchen „gehorsemanshipt“, mit manchen beides, mit Anderen etwas ganz anderes – eben immer das, was für uns gepasst hat.
Bei jedem Pferd gab es den „im Moment für uns beide richtigen Weg“. Um diesen Weg zu finden muss man aber flexibel sein, sich nicht auf „einen richtigen Weg“ versteifen und diesen mit aller Gewalt durchsetzen wollen. Und man braucht am besten mehrere volle Werkzeugkoffer. Nur einen Werkzeugkoffer – oder sogar nur ein Werkzeug – zu haben, begrenzt die Möglichkeiten enorm. Man gerät in Gefahr, in das alte Sprichwort reinzurutschen: „Wenn man nur einen Hammer hat sieht jedes Problem wie ein Nagel aus„.
„Der eine richtige Weg“ und das Internet
Ich ärgere mich regelmäßig wenn ich durchs Netz surfe und die diversen Kommentare lese. Anscheinend ist jeder dort draußen Experte. Im Brustton der Überzeugung und auch gerne mal ungefragt wird mit Ratschlägen nur so um sich geworfen.
Ich möchte nicht einmal sagen, dass die alle falsch sind – ich glaube kaum jemand würde mit Absicht falsche Ratschläge geben – es ist jedoch so, dass man immer nur aus seiner eigenen Situation heraus Ratschläge geben kann. Und die sieht oft (vielleicht auch nicht auf den ersten Blick) ganz anders aus, als die des anderen Reiter-Pferd-Paares.
Nur weil etwas Deine Wahrheit und Dein „richtiger Weg“ mit Deinem Pferd ist, heißt es nicht, dass es auch für jemand Anderen passt. Und nur weil Dir jemand einen Ratschlag gibt (mich und andere Blogger eingeschlossen), heißt das nicht, dass er auch nur ansatzweise auf Dich passt.
Ratschläge „per Ferndiagnose“ sind immer mit Vorsicht zu genießen und auch nur mit äußerster Vorsicht zu geben.
Was tun, wenn es keinen „wahren Weg“ gibt?
Auch wenn manche das sicher nicht gerne hören: Du musst Deinen eigenen Weg finden. Mit jedem Pferd von Neuem.
Klar kannst und sollst Du Dich an einen Plan halten. Viele alte und neue Meister haben ihr Wissen niedergeschrieben und wir haben Zugang zu so vielen Informationen wie niemals zuvor. Trotzdem muss es Dein Weg sein und Du musst flexibel und offen genug sein um ihn zu finden.
Das heißt nicht, dass Du ihn alleine finden musst. Such Dir Unterstützung bei Reitlehrern, Trainern und Freunden. Lese Fachbücher, schaue Dir Videos an, besuche Kurse. Die Möglichkeiten sind endlos.
Und wenn Du Deinen „im Moment für Dich und Dein Pferd richtigen Weg“ gefunden hast: freue Dich und erzähle Anderen davon – aber bitte, versuche niemandem zu erzählen, dass Dein Weg der einzig wahre und richtige ist, nur weil er für Dich gut funktioniert!
Guten Morgen!
Ich finde das ein höchst komplexes Thema 🙂 Ich glaube, ich bin ein ziemlicher Tellerrand-Gucker und mir macht das insofern Probleme, dass ich dann vor lauter Optionen und Möglichkeiten total verwirrt bin und mich nicht entscheiden kann, welche am besten passt. Also läuft es auf Tierversuche raus 🙂
Was noch erschwerend hinzukommt: Nur, weil wir glauben, den passenden Weg gefunden zu haben, heißt das nicht, dass unser Pferd das auch so sieht. Da kommt dann gern seitens des Menschen eine ideologische Verblendung hinzu (und ich nehme mich da gar nicht aus). VG! Nadja
Hallo Nadja,
das Gefühl kenne ich – besonders, wenn sich einzelne Aspekte von „Methoden“, die man eigentlich gut findet, widersprechen. Ich habe aber das Glück, dass meine RB mir sehr genau anzeigt, was für sie passt und was nicht und ich ziemlich direkt weiß, dass ich etwas ändern muss. Ich glaube an „Tierversuchen“ kommen wir alle nicht drumherum, auch die „großen“ Trainer nicht.
Mit den Ideologien ist das auch immer so eine Sache… Ich versuche schon lange (mittlerweile größtenteils erfolgreich) mich von dem ganzen Schubladendenken zu befreien. Eben genau weil ich merke, das es einschränkt und Druck macht. Man muss halt damit leben, dass Köpfe geschüttelt werden wenn man sagt, dass man clickernder-horsemanship-klassisch dressurreitender-Freizeitreiter ist ;-P
Liebe Grüße,
Christina
Wieder einmal ein Artikel der den Nagel auf den Kopf trifft! Absolut Empfehlenswert und sehr gut und verständlich geschrieben!
Dieser Artikel sollte als Beipackzettel jedem der ein Pferd kauft beigelegt werden.
Ich empfehle ausdrücklich ein weiterteilen.
Glg.???? Andreas
Hallo lieber Andreas,
vielen Dank für das nette Lob, das freut mich sehr! =)
Liebe Grüße,
Christina
Nee, definitiv:
Die eine reine Lehre gibts für mich nicht.
Ich habe mir mein Leben lang die Dinge herausgesucht, die für mich und fürs Pferd am Besten passend sind.
Das geht über Übungen, die meinem Reiten oder der Verfassung der Pferdes dienlich sind.
Das geht über die Ausrüstung… gut gemischt ist die des Pferdes und meine Eigene auch. Da gibts sogar „Eigenbauten“, die sonst so Keiner hat… 😉
Auch das ist dann nicht immer genau stilecht.
Trotzdem versuche ich nicht gerade Prunkzaum zum Armeesattel zu verwenden…
Aber für eine große Bandbreite an Ideen, an Wissen über die Wirkungsweise der unterschiedlichen Ausrüstungsgegenstände ist es natürlich wichtig, immer wieder ERGEBNISOFFEN über den Tellerrand zu blicken.
Christina, ich lese Deine Blogs gern, wir scheinen sehr ähnlich zu ticken.
Liebe grüße
Silke
Hallo Silke,
ja, da scheinen wir der gleichen Meinung zu sein 😀
Gut, dass es nicht nur mir alleine so geht.
Liebe Grüße,
Christina
Ich glaube, das kann man auf viele Bereich des Lebens beziehen 🙂 Das ganze Leben suchen wir nach der Wahrheit. Dahinter steckt vlt. die Angst, dass das Pferd kaputtgeht, wenn man einen einzigen Fehler macht. Bis man selbst verstanden hat, dass man kleine Fehler meistens korrigieren kann, ist es gut, jemanden zu haben, der einem das sagt. Es ist ein Lernprozess 🙂
Mich beschäftigt z.B. die Frage, was einen guten Blog ausmacht. Und bei über 200 Blogs beim Kommentiertag spüre ich eine Richtung, die gut ankommt. Aber jede Lesergruppe hat andere Bedürfnisse, nimmt anderes wahr und man kann variieren.
Da hast du sicher recht =)
Ich denke es hängt auch damit zusammen, dass wir von klein an erzählt/vorgegeben bekommen was wir tun sollen. Manchmal vergisst man da, dass man auch noch selbst denken darf 😉
Hallo,
wie wahr der Beitrag.
Man nehme nur das Beispiel -longieren-
Der eine schwört auf
-longieren nur mit Kappzaum
-der andere longieren mit Trense
-dann mit und ohne Ausbinder, dann die Unterkategorie-> Wahl der Ausbinder berücksichtigen
-der andere sagt wiederrum longieren sei schädlich
Jeder denkst das sein Weg der richtig ist, aber ist dem auch so..
Nicht im Leben hat Vorteile ohne Nachteile.
Das stimmt =)
Ich denke jeder muss seinen eigenen Weg finden – das, was aber alle beachten sollten, ist das Wohl des Pferdes!
Liebe Grüße,
Christina
Ich war immer der Meinung eine Box kommt – in welcher Form auch immer – niemals für mich in Frage. Immer raus raus raus mit dem Pferd und so stand mein Wallach 24 Stunden auf der Wiese. Leider hat er eine kleine Einschränkung (einseitig blind) , ist rangniedrig und auch schon älter. Gerade im Herbst und Winter bei viel Regenfall und Sturm machte er einen unglücklichen Eindruck aber ich wollte mir sowas nicht „einbilden“. Im Winter musste ich ordentlich zufüttern damit er seine Figur behielt.
Dann wechselten wir in einen Stall mit Paddockbox und Wiese und jetzt kann ich sagen, dass es für ihn besser ist. Das entspanntere Fressen tut ihm gut und ich bereue diese Entscheidung nicht und muss zugeben, dass man da wohl für jedes Pferd individuell entscheiden sollte, wobei ich ein persönlich ein junges, fittes immer wieder 24 Std. raus stellen würde.
Genau so geht es mir auch =)
Du sprichstmir mal wieder aus der Seele! Danke für’s perfekt auf den Punkt bringen! :-*
Dankeschön Liebes :-*
Ich habe Deinen Artikel mit großem Interesse gelesen.Ich bin auch verwirrt und frage mich,was es alles für Zweige in der Ausbildung gibt.Gibt es da eigentlich sowas eie eine Übersicht,dass man erst mal weiß,was es überhaupt gibt?Ich bin jetzt auf Feldenkrais gestoßen und auf TTouch.Kannte ich noch gar nicht.Wo steht denn solch Ausbildungsangebot prozentual?Gibt es noch Mehrere von solch großen Zweigen?Durch ständig neu entdeckte Methoden ,finde ich wird man noch verwirrter und verliert den Überblick.
Danke und alles Liebe für Dich!
Heike
Hallo liebe Heike,
es gibt echt Vieles, ich glaube ich kenne auch nicht jede Methode/Reitweise, die vermarktet wird :’D
Grob lassen sich die Reitweisen in Englisch (FN, typische Reitschule), Klassisch (Légèreté, Branderup, etc.) und Western einteilen. Wanderreiten, Distanzreiten, Springreiten, Gangpferdereiten, Working Equitation, etc. läuft dann meistens unter einer dieser übergreifenden Reitweisen und ist mehr spezialisiert. Es gibt echt irre viel im Reitsport, manches (wie Feldenkrais, Eckart Meyners, Centered Riding, etc.) fokussiert mehr auf den Reiter und kann mit allen möglichen Reitweisen kombiniert werden. Ich denke es hilft da nur interessiert zu bleiben und über den Tellerrand zu schauen. Nicht jede Methode oder Reitweise ist etwas für jedes Reiter-Pferd-Paar – deshalb gibt es wohl auch so viel Auswahl…
Wirklich neu finde ich allerdings kaum eine Methode, denn das Lebewesen Pferd hat ja immer noch die gleichen körperlichen und mentalen Voraussetzungen wie vor vielen Jahren. Es gibt ab und an mal neue wissenschaftliche Erkenntnisse, aber neue Methoden sind oft nur alte Methoden neu verpackt und vermarktet 😉
Liebe Grüße,
Christina