Pferde im Winter: Thermoregulation, Eindecken & Scheren

Dieser Artikel enthält werbende Inhalte. Mehr dazu liest Du hier!

Jedes Jahr kommt mit den ersten Zeichen des Herbstes eine Welle an Fragen in den Reiterforen auf: Soll ich mein Pferd eindecken? Hat es warm genug im Winter? Oder muss ich es vielleicht scheren, weil es sonst so viel schwitzt? Und was ist eigentlich diese Thermoregulation, von der die Leute sprechen?

Schonmal ein kleiner Hinweis vorweg: Eine Pauschalantwort und ein „Richtig“ oder „Falsch“ gibt es hier nicht. Für alle weiteren Details habe ich Dr. Sandra Löckener interviewt, die seit über 20 Jahren mit Pferden in den Bereichen Tiermedizin und Veterinärbiologie arbeitet und ihren eigenen Reha-Stall betreibt, in dem sie Pferde mit diversen gesundheitlichen Problemen (wie z.B. Atemwegs- und Stoffwechselerkrankungen, Lahmheiten, etc.) unterstützt.

Hier gibt es das komplette Interview als Video (wer lieber schnell lesen will, findet die Zusammenfassung als Text darunter):

Hallo liebe Sandra, vielen Dank, dass Du Dich bereit erklärt hast mir hier meine Fragen und die Fragen meiner Leser/innen zu beantworten! Steigen wir doch einfach direkt in’s Thema ein: Wie können wir unsere Pferde unterstützen, damit sie bestmöglich durch den Winter kommen? Müssen wir sie eindecken? Oder scheren? Oder ist das alles Quatsch?

Sandra: So individuell das Thema ist, gibt es doch einige grundsätzliche Dinge, die man sagen kann. Unsere Pferde haben – im Gegensatz zum Menschen – eine Wohlfühltemperatur zwischen 5 und 10 Grad. Das heißt in diesem Temperaturbereich funktioniert ihr Stoffwechsel am besten und sie müssen weder thermoregulieren um sich aufzuwärmen noch um sich abzukühlen.

Darüber hinaus sind die Bedürfnisse von Pferden sehr individuell abhängig von Alter, Rasse, Haltungsform und Gesundheitszustand und man muss schauen, was das eigene Pferd braucht.

Thermoregulation beschreibt alle Maßnahmen, die der Pferdekörper durchführen kann, um seine Körpertemperatur in einem gesunden Bereich zu halten. Im Winter ist dies z.B. die Bildung eines dichten Winterfells und einer schützenden Fettschicht. Das Fell stellt sich bei Kälte auf, so dass sich eine isolierende Luftschicht bilden kann. Außerdem gibt es einen Fettfilm auf Fell und Haut von dem Feuchtigkeit abperlt. Der Herzschlag verlangsamt sich und die Gefäße ziehen sich zusammen, damit weniger Wärme verloren geht.

Wie ist das mit Pferden aus südlichen Ländern, brauchen die eher Unterstützung?

Sandra: Für gewöhnlich haben Pferde aus aus dem Süden – also aus Spanien, Portugal, Italien, Argentinien – keine großen Probleme sich an unseren Winter anzupassen. Sie bilden eine gute Fettschicht und Winterfell und kommen auch bei minus 25 Grad klar.

Wie erkenne ich denn nun, ob mein Pferd kalt hat und Hilfe braucht?

Sandra: Das sieht man glücklicherweise recht gut: Wenn das Pferd zittert, ein bisschen gekrümmt oder zusammengezogen steht oder sich steif bewegt, dann ist ihm in der Regel kalt. Das Zittern ist ein ganz natürlicher Mechanismus um Wärme zu erzeugen, das kennen wir auch von uns selbst. Sehe ich diese Anzeichen bei meinem Pferd, muss ich überlegen wie ich es unterstützen kann.

Welche Möglichkeiten außer Eindecken gibt es, wenn ich merke meinem Pferd ist kalt?

Sandra: Man kann schon viel am Haltungsmanagement machen: Ganz wichtig ist natürlich, dass das Pferd die Möglichkeit hat sich unterzustellen und Schutz vor Regen, Schnee und vor allem Wind zu haben. Außerdem ist es immer gut, wenn das Pferd ausreichend Möglichkeit zur Bewegung hat, denn Bewegung erzeugt Wärme.

Eine weitere wichtige Stellschraube ist das Bereitstellen von qualitativ hochwertigem Raufutter. Die Pferde funktionieren im Prinzip wie ein Ofen: Das Pferd nimmt Raufutter auf und dieses wird dann umgewandelt in Körperwärme. Je niedriger die Temperaturen, desto höheren Raufutterbedarf haben die Pferde. Wenn möglich sollte also Raufutter zur freien Verfügung stehen und die Pferde können so selbst ihre Temperatur regulieren.

Idealerweise leben die Pferde in einem Stall, der der Außentemperatur folgt. Dann gewöhnen sie sich an die Temperaturen und bilden frühzeitig und ausreichend Winterfell und sind bestmöglich auf den Winter vorbereitet.

Sind alle diese Vorkehrungen getroffen, muss man aber trotzdem noch individuell schauen wie jedes Pferd aufgestellt ist.

Welche Faktoren beeinflussen, ob ich mein Pferd eindecken muss? Gibt es Pferde, die generell weniger gut durch den Winter kommen?

Sandra: Es gibt verschiedene Pferdetypen – dadurch kann man schon mal ableiten ob das Pferd eher eine Decke braucht oder nicht. Isländer und andere nordische Rassen z.B. brauchen in der Regel keine Decken, die freuen sich wenn Herbst und Winter ist. Pferde, die nicht besonders groß und eher gedrungene Typen sind, können ihre Körperwärme besser speichern als ein Vollblut mit langen Extremitäten. Da geht viel Körperwärme über die größere Oberfläche verloren und blütige Pferde haben für gewöhnlich auch ein nicht zu dichtes Winterfell. Eine weitere Rolle spielt die individuelle Fettschicht: Ein hoch im Blut stehendes Sportpferd oder ältere Pferde haben oft weniger Fettdepots zur Verfügung. Diese Pferde stoßen von Natur aus eher mal an ihre Grenze im Winter – das muss nicht sein, kann aber.

Je älter ein Pferd ist, desto schwerer fällt es ihm Fettpölsterchen zu speichern und desto mehr Energie geht bei der Thermoregulation verloren. Es kann schon sein, dass so ein Pferd grundsätzlich gut durch den Winter kommt und gut thermoregulieren kann, dass es das aber so viel Energie kostet und so an die Substanz geht, dass man das Pferd mit einer Decke einfach schonen kann und ihm diese Anstrengung erspart.

Wenn ich mein Pferd eindecke: Muss das dann rund um die Uhr sein oder nur zu bestimmten Zeiten? Worauf muss ich beim Eindecken generell achten?

Sandra: Wenn das Pferd die ganze Zeit in den gleichen Haltungsbedingungen steht, sollte man auch gleichbleibend eindecken. Eine Variation der Temperatur über die Decke ist nicht möglich. Eine Situation, in der man abwechseln könnte, wäre z.B. wenn das Pferd nachts in der Box steht (in der es keine Möglichkeit hat sich über Bewegung aufzuwärmen) und tagsüber mit anderen Pferden draußen ist und sich viel bewegt. Dann kann es Sinn machen das Pferd nachts mit einer Decke zu unterstützen und diese tagsüber wegzulassen. In diesem Fall könnte es vielleicht auch sein, dass das Pferd sich mit einer Decke lieber hinlegt, wenn der Boden kalt ist. Währenddessen sind es tagsüber ein paar Grad mehr und es hat wärmer, weil es in Bewegung ist. Solche Fälle sind aber eher die Ausnahme.

Wenn das Pferd z.B. dauerhaft im Offenstall steht, wo Haltung und Temperatur immer gleich sind, sollte man gleichbleibend eindecken damit man den Organismus des Pferdes nicht aus der Balance bringt.

Die Bildung des Winterfells richtet sich auch nach diesen Umgebungsbedingungen, das heißt wenn ich mein Pferd schere, muss ich meistens ab dem Zeitpunkt das fehlende Fell durch eine Decke ersetzen. Und wenn ich mein Pferd frühzeitig eindecke, dann muss mir klar sein, dass das Pferd nicht so viel Winterfell entwickelt und ich es durch den Einsatz der Decke ersetzen muss. Problematisch kann das dann bei sonnigen Wintertagen werden – an denen kann es dem Pferd unter der Decke viel zu warm werden. Viele Pferdebesitzer/innen berichten, dass sie mittags auf der Arbeit sitzen, die Sonne kommt raus und dann müssten sie eigentlich schnell zum Stall um das Pferd wieder abzudecken.

Das Eindecken bringt somit Probleme mit sich, die man nicht hätte, wenn das Pferd mit seinem natürlichen Fell klarkommt. Solche Temperaturschwankungen können von einem Pferd mit natürlichem Fell nämlich viel leichter kompensiert werden. Deshalb muss man gut prüfen, ob man sein Pferd wirklich eindecken muss und das dann auch sinnvoll planen. Dazu gehört sich schon im September mit dem Fellwechsel Gedanken zu machen wie man diesen Winter angehen möchte und ob das Pferd noch die gleichen Voraussetzungen hat wie im letzten Winter (Haltungsform, Gesundheit, Alterserscheinungen).

Auf dem Markt gibt es eine große Bandbreite an Decken in unterschiedlichen Grammstärken, Luftdurchlässigkeiten, Regenschutz, UV-Schutz, etc., da muss gut überlegt und getestet sein, was das eigene Pferd wirklich braucht. Man kann leicht anfangen und erstmal eine wenig gefütterte Decke benutzen und schauen wie das Pferd klar kommt. Dabei muss aber beachtet werden, dass eine Decke die Thermoregulation aussetzt. Das heißt auch wenn das Pferd ein gutes Winterfell hat und eigentlich gannz ok mit den Temperaturen klarkommt, kann es trotzdem eine etwas dickere Decke brauchen, weil das Fell sich nicht aufstellen und das Pferd sich nicht mehr damit wärmen kann. Das kann z.B. auch bei ungefütterten Regendecken passieren.

Wenn ich mein Pferd im September eindecke und es nicht so viel Winterfell bildet, muss ich es dann die ganze Zeit über eingedeckt lassen oder kann ich die Decke an wärmeren Tagen auch mal weglassen? Und, wenn mein Pferd normalerweise nicht eingedeckt ist und plötzlich ein paar kalte Tage kommen, kann ich es dann für diese Tage eindecken und die Decke später wieder weglassen?

Sandra: Wichtig ist, dass man nicht von einem Extrem ins andere geht. Wenn ich das Pferd die ganze Zeit eingedeckt hatte und es dann ein paar sonnige, warme Tage im Winter gibt, ist es schon auch möglich die Decke mal abzunehmen. Dann kann es sein, dass das Pferd ein bisschen Winterfell schiebt weil es den Kältereiz bekommt, aber ich kann es natürlich trotzdem nicht uneingedeckt in die Box stellen, in der es sich nicht bewegen kann und keine Sonneneinstrahlung bekommt. Da muss man schon permanent prüfen unter welchen Bedingungen man die Decke weglassen kann und wann das Pferd die Decke immer noch braucht.

Wenn das Pferd normalerweise ohne Decke läuft und es ein paar besonders kalte Tage gibt, dann kann man es eindecken. Wird es wieder wärmer, kann man die Decke langsam wieder ausschleichen. Hat das Pferd sein ordentliches Winterfell, geht die Thermoregulation durch ab und zu eindecken nicht kaputt. Es braucht vielleicht ein bisschen, um den Fettfilm auf der Haut neu zu bilden, aber das sollte eigentlich problemlos funktionieren.

Wie ist das mit Pferden die im Winter viel trainiert werden sollen, die viel schwitzen und bei denen es dann ein Problem ist, sie trocken zu bekommen?

Sandra: Wenn man das Pferd regelmäßig so belastet, dass es stark schwitzt, dann geht es einerseits um die Frage, ob es genug Winterfell bildet und eine ausreichende Fettschicht hat, um mit kalten Temperaturen klarzukommen. Andererseits muss man die Möglichkeit haben, sein Pferd nach dem Reiten gut trocknen zu können. Wenn das Pferd geschwitzt hat und nicht trocknen kann, besteht die Gefahr, dass es sich verkühlt und erkältet.

Trocken bekommt man das Pferd z.B., indem es sich im Sand wälzen darf, man ausreichend lange abreitet oder indem man es vielleicht sogar in ein Solarium stellt. Wenn man diese Möglichkeiten hat und das Pferd ausreichend Winterfell und Fettschicht zur Verfügung hat, dann kann auch ein Sportpferd ohne Decke gut durch den Winter kommen. Wenn das nicht gegeben ist, dann macht es Sinn das Pferd einzudecken.

Wie ist das mit dem Scheren, macht es überhaupt Sinn das Pferd zu scheren oder kann man das auch einfach sein lassen?

Sandra: Wenn man voll im Training bleiben möchte, das Pferd leistungsfähig bleiben soll und man ihm eine schnelle Regenerationszeit ermöglichen möchte, kann Scheren eine sinnvolle Maßnahme sein. Wenn das Pferd geschoren werden muss (wie z.B. bei einem Isländer, der sehr stark schwitzt), bietet es sich an, erst mal nicht das komplette Pferd zu scheren, sondern nur einzelne Stellen an denen das Pferd besonders stark schwitzt. Diese Teilbereiche sind dann wie Fenster, durch die das Pferd Wärme abgeben kann.

Bei Robustpferden, wie einem Isländer, würde ich immer versuchen so klein wie möglich anzufangen: Ein kleines Fenster an der Brust oder am Hals, nur so viel wie nötig. Sollte das nicht ausreichen, kann man ein bisschen an der Flanke abnehmen. Das hat auch einen psychischen Aspekt: Wenn ein Islandpferd komplett geschoren wird, dann kann sich das auf sein Körpergefühl und auch auf die Reaktionen der anderen Pferde in der Herde auf es auswirken.

Ist das Scheren überhaupt nötig für eine/n „normale/n“ Freizeitreiter/in, der/die ein bisschen auf den Platz und ein bisschen Ausreiten geht?

Sandra: Das ist pauschal schwer zu sagen und hängt einfach davon ab, ob das Pferd nach dem Reiten gut getrocknet werden kann. Die beste Maßnahme, wenn das Pferd im Training stark geschwitzt hat, ist immer noch es sich wälzen zu lassen. Das bringt Luft zwischen die Haare und hilft dem Pferd am schnellsten trocken zu werden. Wälzen ist hilfreicher als eine Abschwitzdecke oder ein Solarium. Das Problem bei Solarien & Co. kann sein, dass man das Pferd damit überhitzt und es danach auf der Koppel oder in der Box noch mal ordentlich nachschwitzt. Das Schwitzen ist ja eigentlich dazu da, dass das Pferd die Körperwärme los wird – wenn dann noch zusätzlich Wärme hinzugefügt wird, kann das einen gegenteiligen Effekt haben.

Kann man sein Pferd nicht gut trocknen und möchte es trotzdem nicht scheren oder eindecken, kann man das Training entsprechend anpassen, damit das Pferd über Winter gar nicht so sehr ins schwitzen kommt. Man muss immer prüfen, was für die Gesundheit des Pferdes im Einzelfall besser ist.

Vielen herzlichen Dank für das Interview Sandra!

Sandra ist mobil jeden Monat in Deutschland auf Tour. Sie schließt nicht aus, auch mit gesunden Pferden zu arbeiten, aber generell hilft sie Pferden mit Atemwegserkrankungen, Stoffwechselproblemen, Lahmheiten, Bewegungstherapie, etc. Dafür arbeitet sie ergänzend zu und zusammen mit Tierärzten und berät unter anderem zu den Themen Haltung, Fütterung und Training. Seit neustem hat sie ihren Reha-Betrieb in die Toscana verlegt und wird dort im kommenden Jahr auch Reiturlaube anbieten. Mehr Infos zu Sandra und ihrem Angebot findest Du auf ihrer Website, auf Facebook oder Instagram.

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Vor über 30 Jahren saß ich zum ersten Mal auf einem Pferd.
Seitdem habe ich viel erlebt und gelernt, hatte Erfolge und
Misserfolge, bin gestürzt und wieder aufgestiegen.
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fair & pferdefreundlich.

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