
„Kopf hoch! Sofort!“
Wie oft habe ich diesen Satz von den unterschiedlichsten Reitlehrern gehört. Es müssen hunderte Male gewesen sein. Gebracht hat es auf Dauer leider wenig. Auch heute habe ich noch ab und an die blöde Angewohnheit beim Reiten lieber auf meine eigenen Hände oder den Mähnenkamm meines Pferdes zu gucken anstatt geradeaus.
Außerdem lasse ich auch gerne mal die Schultern hängen.
Aber damit bin ich in guter Gesellschaft: die meisten Reiter haben im Laufe ihres Reiterlebens eine oder mehrere schlechte Angewohnheiten die sie dringend loswerden möchten. Und dabei haben wir alle eines gemeinsam: wir haben meistens die gleichen Probleme. Welche das sind und wie Du sie loswerden kannst, erkläre ich in diesem Artikel.
1. Du schaust beim Reiten auf Deine Hände oder den Mähnenkamm Deines Pferdes
Ich glaube ich kenne keinen Reiter der das nicht schon einmal gemacht hat. Man guckt, ob das Pferd in der richtigen Biegung oder Stellung läuft oder ob es einen gerade aus dem Augenwinkel missmutig anfunkelt.
Kann man ja mal machen.
Problematisch wird es dann, wenn man – wie mir das so oft passiert – einfach vergisst wieder hochzuschauen. Bevor man sich‘s versieht hat man in der Halle eine Massenkarambolage verursacht (tatsächlich schon erlebt!).
Aber nicht nur das: Dein Kopf wiegt circa 3 Kilogramm. Wenn diese drei Kilogramm permanent mehr nach vorne hängen als sie sollen, dann gibst Du Deinem Pferd nicht die Gewichtshilfen, die Du eigentlich geben willst. Wenn Du ständig nach unten schaust, wird Deine gesamte Haltung und somit Dein Sitz schlechter. Du lehnst Dich mehr nach vorne und Deine Schultern hängen. Das alles macht Dich unflexibler und es fällt Dir schwerer gute, klare Hilfen zu geben.
Unzählige Reitlehrer haben sicherlich Jahre ihres Lebens damit verbracht Reitern zu sagen, dass sie nach vorne schauen sollen. Wenn Du wie ich bist, hilft das leider nur vorübergehend. Man hat ja nicht immer einen Reitlehrer dabei.
Meine Lösung für dieses Problem: ich klebe mir kleine, gelbe Post-It‘s mit Panzerband an die Hände, auf denen groß „Kopf“ steht. Wenn Du eher auf den Mähnenkamm Deines Pferdes schaust, kannst Du den Zettel auch an die Mähne binden (nicht kleben!). Es reicht schon, wenn Du das gelbe Ding beim Runtergucken siehst.
Am Anfang wirst Du wohl aussehen wie ein Wackeldackel – runter, hoch, runter, hoch – aber schon bald wirst Du Dich daran gewöhnen seltener runter zu schauen und kannst Die Zettelchen weglassen.
2. Du hältst Deine Hände nicht gerade
Du machst hängende Hasenpfötchen? Oder hältst die Hände als würdest Du einen Einkaufswagen schieben? Oder vielleicht drehst Du Deine Hände lieber nach außen?
Alles nicht so wirklich gut. Deine Hände stellen die Verbindung zum Pferdmaul dar. Mit ihnen musst Du besonders sensibel und fein reagieren können. Deshalb ist es wichtig, sie in einer Position zu halten, in der Du sie einfach und problemlos bewegen kannst. Wenn Du das nicht tust, werden Deine Zügelhilfen oft verkrampft sein und vielleicht zu grob kommen.
Ich habe mir diese Angewohnheit damit abgewöhnt, dass ich zusammen mit den Zügeln in jeder Hand eine große Kaffeetasse mit ein bisschen Wasser drin hatte (Liebe Männer: Bierkrüge gehen auch!). Sobald meine Hände nicht mehr gerade waren habe ich mir Wasser über die Hose geschüttet.
Ziemlich ätzend. Deshalb wirkt es auch so gut.
Klar, die Tassen in den Händen nerven und so wirklich toll reitet man damit nicht. Außerdem nervt es auch daran zu denken und das Wasser nachzufüllen. Aber glaube mir: mach das ein paar Tage hintereinander und Du wirst schon einen Unterschied merken. Dann reicht es auch keine Tassen mehr dabei zu haben und einfach zwischendurch mal dran zu denken.
3. Du lehnst Dich permanent leicht nach vorne
Auch wieder ein Problem das ich kenne. Wenn man sich leicht nach vorne lehnt, hat man das Gefühl, dass man sein Gleichgewicht besser halten kann.
Besonders wenn das Pferd einen Satz macht oder durchgeht, lehnen sich viele Reiter instinktiv nach vorne. Und das ist genau die falsche Reaktion. Wenn Du Dich nach vorne lehnst, verlagert sich auch Dein Gewicht nach vorne. Dein Pferd macht einen Schritt nach vorne um Dein Gewicht abzufangen. Wenn es schon am Rennen ist, wirst Du es damit nur weiter antreiben.
Abgesehen davon wirst Du mit permanent nach vorne verlagertem Gewicht nie so gute Gewichtshilfen geben können, wie es Dir eigentlich möglich wäre. Tief und schwer in den Sattel setzen geht nur, wenn Du auch gerade sitzt.
Mir haben verschiedene Sitzschulungen sehr bei diesem Problem geholfen. Ich kann jedem nur empfehlen ein paar Sitzstunden an der Longe zu nehmen. Wenn ihr das nötige Wissen habt, kannst Du Dich auch mit einer Freundin zusammentun und ihr longiert und korrigiert euch gegenseitig.
Eine tolle Übung ist es, sich auf dem stehenden Pferd so weit mit dem Oberkörper nach hinten zu lehnen, bis man auf dem Hinterteil des Pferdes liegt. Das Gleiche macht man dann nach vorne. Wenn Du das ein paar Mal hintereinander gemacht hast, wirst Du Dich mit Deinem Oberkörper eher in der Mitte einpendeln als vorher.
Es hilft auch, wenn jemand dabei ist, der Dir sagt wann Du gerade sitzt. Meistens fühlt sich das dann nämlich so an als wärst Du viel zu sehr nach hinten gelehnt.
In der richtigen Position bleibst Du dann eine Zeitlang und konzentrierst Dich darauf wie sich das anfühlt. Dann lehnst Du Dich kurz nach vorne und nach hinten und versuchst (wenn Du es brauchst mit Hilfe) wieder in die richtige Position zu kommen. Das wiederholst Du so lange, bis Du ohne Probleme mehrmals hintereinander in die richtige Position kommst und diese sich für Dich gut anfühlt.
Nun kannst Du es im Stehen. In Schritt, Trab und Galopp musst Du es natürlich auch üben.
4. Du vergisst zu atmen und verkrampfst Dich wenn Du Dich konzentrierst
Ich denke das kennt jeder von uns: Du bist so konzentriert, dass Du total das Atmen vergisst. Besonders bei anspruchsvollem Reitunterricht sieht man viele rote Köpfe und hört „Atme mal tief durch!“.
Wenn Du die Luft anhältst ist es unvermeidbar, dass Du Dich gleichzeitig verkrampfst. Du wirst somit steif und unbeweglich und kannst die Hilfen nicht mehr so gut ausführen wie vorher. Deine Steifheit wird sich auch auf Dein Pferd übertragen. Es wird merken, dass da bei Dir gerade etwas nicht stimmt und könnte Angst bekommen.
Das Atem Anhalten ist ein schwer zu behandelndes Problem. Eigentlich kann Dir da nur jemand helfen, der Dir immer wieder mal „Luft holen“ sagt. Versuche Dir selbst zusätzlich immer wieder bewusst zu machen, dass Du durchatmen musst. Wenn Dir das Problem bewusst ist, denkst Du zwischendurch eher mal „ach ja, ich muss ja atmen“.
Ansonsten kann ich Yoga, Meditation oder andere Sportarten mit Atemübungen sehr empfehlen. Dort lernst Du auch unter voller Konzentration ruhig und gleichmäßig weiter zu atmen.
5. Du hältst Dein Gleichgewicht mithilfe der Zügel (Du hast keinen zügelunabhängigen Sitz)
Viele Anfänger, aber auch leider ein paar fortgeschrittene Reiter, haben dieses Problem.
Die Zügel werden – vor allem beim Trab Aussitzen – dazu benutzt sich festzuhalten und sich tiefer in den Sattel zu ziehen. Für das Pferd ist das natürlich äußerst unangenehm und eine feine, klare Hilfengebung ist damit unmöglich.
Um einen zügelunabhängigen Sitz zu erlernen ist es wichtig, dass Du in allen Gangarten ohne Zügel reitest und Dein Gleichgewicht findest. Wenn keine Zügel zum Festhalten da sind, wirst Du zwangsläufig lernen ohne sie Dein Gleichgewicht zu halten.
Nun will ich Dir damit natürlich nicht sagen, dass Du die Zügel wegwerfen und munter drauflosreiten sollst. Am besten lernst Du den zügelunabhängigen Sitz in Longestunden. Dort musst Du nicht darauf achten wo Dein Pferd hinläuft, sondern kannst Dich ganz auf Deinen Sitz konzentrieren.
Wenn Du keine Möglichkeit hast Longestunden zu nehmen, lass Dich entweder von einer (auch reitenden) Freundin longieren oder reite zwischendurch immer mal mit langem Zügel. Wenn Du ein braves Pferd hast, kannst Du ihm die Zügel auch einfach auf den Hals legen, dann bist Du nicht in der Versuchung doch mal wieder zuzugreifen.
Am zügelunabhängigen Sitz sollte man immer wieder arbeiten – egal ob man Anfänger oder fortgeschrittener Reiter ist. Schlechte Angewohnheiten schleichen sich oft schneller ein als man denkt.
Lesetipp: Auf Hippovital.at findest Du Infos und Tipps zu den vier häufigsten Sitzproblemen.
6. Du lässt Deine Schultern hängen
Auch dieses Problem haben unheimlich viele Reiter. Unser heutiger Lebensstil ist für unsere Körperhaltung nicht besonders gut. Die meisten kauern den ganzen Tag vorm PC oder am Schreibtisch, abends lässt man sich dann nur noch aufs Sofa fallen.
Hängende Schultern und ein runder Rücken machen Dich als Reiter unflexibler. Um korrekte Gewichtshilfen geben zu können ist es wichtig gerade zu sitzen und bewegliche Schultern zu haben. Das fängt schon damit an wenn Du nur um eine Kurve reiten willst: Deine Schultern sollen sich parallel zu den Schultern Deines Pferdes mit in die Biegung drehen. Mit hängenden, eingerollten Schultern ist das gar nicht so einfach.
Die Lösung für dieses Problem wird Vielen nicht gefallen: Training für die Rückenmuskulatur!
Eine schlechte Haltung kommt oft von zu schwachen, untrainierten Muskeln. Ja, reiten trainiert die Rückenmuskeln. Aber für manche eben nicht genug. Ich spreche da aus Erfahrung, seit ich regelmäßig rückenkräftigendes Yoga mache habe ich weniger Probleme mit hängenden Schultern und schlechter Haltung (und natürlich auch weniger Rückenschmerzen).
Wenn Du nicht gleich Sport machen willst, solltest Du wenigstens den Tag über immer wieder darauf achten wie Deine Haltung ist. Achte darauf, dass Du am Schreibtisch gerade sitzt und beim Gehen nicht auf Deine Füße schaust. Am Anfang wird sich das sicher seltsam anfühlen. Vielleicht hast Du sogar Schmerzen wenn Du versuchst Dich gerade zu machen – dann solltest Du mal zu einem Orthopäden oder Ostheopaten gehen und Dich durchchecken lassen.
7. Du drückst Deine Arme gerade durch
Du hast sicher schon (mehr als) einmal gehört, dass Deine Ellbogen, Unterarme und Handgelenke zusammen mit dem Zügel eine gerade Linie zum Pferdemaul bilden sollen.
Viele Reiter neigen aber dazu die Ellbogen gerade zu strecken und nicht anzuwinkeln. Das hängt oft damit zusammen, dass sie die Zügel zu kurz haben, diese aber aus Angst („schließlich muss ich ja bremsen können“) nicht länger lassen wollen.
Mit durchgedrückten Armen bist Du aber viel grobmotorischer und wirst keine feinen Zügelhilfen geben können. Das kannst Du auch ganz einfach zu Hause testen: versuch mal mit durchgestreckten Armen einen Faden in eine Nadel einzufädeln. Oder ein Glas Wasser einzuschenken. Mit gebeugten Armen bist Du deutlich geschickter!
Erste Maßnahme bei durchgestreckten Armen: Zügel länger lassen. Im Endeffekt werden die Zügel, dadurch, dass Du die Arme anwinkelst, genau die gleiche Verbindung zum Pferdemaul haben wie vorher. Nur wird die Verbindung für Dein Pferd angenehmer.
Ansonsten kannst Du Dir zum Abgewöhnen unter jeden Arm eine leere Klopapierrolle klemmen. Wenn Du die Arme nach vorne durchstreckst werden die Rollen runterfallen. Wichtig ist, dass Du nicht völlig verkrampft versuchst die Rollen festzuhalten. Du willst ja nicht dieses Problem loswerden und dafür ein anderes Problem bekommen (verkrampfte Haltung).
Lass Dich von Deinen schlechten Angewohnheiten nicht entmutigen
Wirklich jeder Reiter hat sie irgendwann in seinem Leben. Und mit manchen kämpft man länger als mit anderen.
Auch wenn Du Deine schlechten Gewohnheiten los bist, solltest Du immer wieder selbstkritisch darauf achten, ob sich nicht wieder alte oder neue Gewohnheiten eingeschlichen haben. Das geht leider schneller als man denkt.
Und je früher Du es merkst, desto schneller bist Du sie auch wieder los.
Ich kämpfe ja immer noch damit, dass ich oft auf meine Hände schaue. Was sind Deine schlechten Angewohnheiten und was tust Du dagegen? Vielleicht hast Du ja noch ein paar Tipps für mich…
*Auch hier möchte ich wieder darauf hinweisen, dass ich kein professioneller Trainer bin und jeder meine Empfehlungen auf eigene Gefahr durchführt. Ich empfehle immer einen erfahrenen Trainer vor Ort hinzuzuziehen! *