„Hat er gerade 240km gesagt?!“
„Ja, hat er.“
Ich gucke meine Freundin und Reisebegleiterin erstaunt über den Frühstückstisch im wunderschönen Agriturismo „Massema Nocca Di Gonato“ in den Bergen bei Castelbuono hinweg an. Dann breitet sich ein breites Grinsen auf meinem Gesicht aus: „Sportliche Strecke für 6 Tage und die vielen Höhenmeter!“.
Dass wir so viel Strecke zurücklegen werden, hatte ich aus der Tourenbeschreibung bei Pegasus Reiterreisen gar nicht herausgelesen – aber es ist eine willkommene Überraschung (je mehr Reiten, desto besser, oder nicht?).
Eine knappe Stunde später sind wir bei den Pferden und bekommen unsere Einführung von Franco, einem der Inhaber von Sicily on Horseback und pensioniertem Fotojournalisten. Und ich bin direkt begeistert: Was Franco von der Ausbildung der Pferde erzählt (sanftes Horsemanship) und die Anweisungen, die wir zum Umgang mit ihnen bekommen, klingen richtig gut!
Meine Stute Perla döst noch, mit der warmen Morgensonne im glänzend kastanienbraunen Fell, aber sie begrüßt mich zurückhaltend freundlich als ich sie anspreche – erst mal schauen, was das für ein Mensch ist, bevor man in Begeisterungsstürme ausbricht!
Wir verstauen unsere Pullis, Sonnencreme, Wasser und Kameras in den beiden geräumigen Satteltaschen, stellen unsere Steigbügel ein und los kann es gehen: 240km durch drei Naturparks bis auf den Ätna!
Tag 1: Durch's Madonie Gebirge
Von unserem Agriturismo aus geht es hinauf in die Berge. Immer wieder blitzt die beeindruckende Silhouette des Monte Madonna dell’Alto zwischen den Bäumen hervor. Perla bewegt sich leicht und gleichmäßig unter mir, die Sonne brennt mir auf die Schultern und ich genieße die Stille um mich herum, die nur ab und an von dem Läuten entfernter Kuhglocken unterbrochen wird.
Der größte Teil meiner Aufmerksamkeit ist bei Perla: Die ersten Stunden eines jeden Reiturlaubs gehören immer den Pferden. Es ist ein vorsichtiges Kennen- und Fühlen Lernen, ein sich beschnuppern und sich aufeinander einstellen. Noch ist man kein eingespieltes Team. Das Pferd prüft in fast unmerklichen Schritten, welche Art Mensch es die nächsten Tage tragen wird. Der Reiter achtet aufmerksam darauf, wie das Pferd auf seine Umwelt reagiert und welchen Charakter es hat. Es ist das Equivalent zum Smalltalk zweier Fremder, die sich auf der Party gemeinsamer Freunde kennenlernen: Man denkt, dass man sich mögen könnte, aber man kennt sich noch nicht gut genug, um sicher zu sein.
Der erste Test des Teamworks kommt in Form eines kühlen, moosbewachsenen Waldstücks. Im grünen Dämmerlicht geht es über weglosen, mit hellen Felsen übersäten Boden im Slalom durch knorrige Bäume. Perla lässt sich wunderbar leicht mit meinem Gewicht lenken und keines meiner Knie macht eine unfreiwillige Begegnung mit einem moosigen Baumstamm. Ein tief hängender Ast kratzt über meinen Helm und holt mich aus meiner staunenden Bewunderung des verwunschen wirkenden Waldes zurück. Auf meine Knie gibt Perla acht – auf meinen Kopf muss ich schon selbst aufpassen.
Kaum habe ich meinen Mund geschlossen und die Begeisterung über den Wald verarbeitet, da klappt mir die Kinnlade schon wieder herunter: Wir reiten aus dem Wald heraus auf eine Hochebene und haben zu beiden Seiten einen fantastischen Blick in die Täler. Direkt vor uns steht eine Gruppe halbwilder Pferde und beobachtet uns ruhig. Unser Guide Paolo erzählt, dass diese Pferde Sanfratellanos sind, eine sizilianische Rasse, die auch im harten Winter auf sich allein gestellt überleben kann, weil sie auch die Äste der Bäume frisst. Es heißt diese sizilianische Rasse sei schon über 1000 Jahre alt und sie zeichnet sich vor allem durch ihre Robustheit und Trittsicherheit aus.
Wir lassen den Bergkamm und die Pferde hinter uns und treffen auf eine verlassene, mit einem Mosaik aus hellen Natursteinen gepflasterte Straße zwischen Zypressen. Solche Straßen kenne ich sonst nur aus den Ruinen rund um Rom – ich fühle mich, als würde ich zu Cäsars Zeiten durch die Toskana reiten! Niemals hätte ich gedacht, dass Sizilien so vielfältig ist.Nach ein paar Minuten ist klar, warum wir diese Straße nehmen: An einem gemauerten Brunnen machen wir Rast und tränken und füttern die Pferde. Wir bekommen leckere Antipasti von Franco, der mit dem Begleitbus vorgefahren ist und sogar Tisch und Stühle für uns auspackt. Nach einer kurzen Siesta auf den Pferdedecken geht es frisch gestärkt weiter über breite Sandwege in Richtung Tal.
Mit dem ersten Galopp kommt der zweite Test des Teamworks zwischen Reiter und Pferd, den wir alle mit Bravour bestehen. Meine Stute ist wunderbar unkompliziert und leicht zu händeln und sie quittiert meine Verrenkungen beim Fotografieren und Filmen nichtmal mit einem Schweifwedeln – ihre Ohren sind aber immer aufmerksam bei mir.
Tag 2: Mit dem Wind um die Wette
Nach dem süßen italienischen Frühstück (daran könnte ich mich gewöhnen), geht es bei strahlendem Sonnenschein zu den Pferden. Perla wartet schon und bleibt brav neben einem Mäuerchen stehen, das mir als Aufstiegshilfe dient.
Im Laufe des Vormittags reiten wir entlang eines trockenen Flussbettes: Perlas Hufe klappern auf den weißen Kieseln während die Sonne unerbittlich auf mich niederbrennt (auch im Oktober sollte man in Sizilien nicht die Sonnencreme vergessen). Die Böschungen sind mit dichtem Gebüsch bewachsen, aus dem das Summen von Insekten und Zirpen von Vögeln klingt. Außer dem Klappern der Pferdehufe und Schnauben der Pferde ist nichts zu hören.
Unser Weg lässt uns mehrfach das Flussbett durchqueren, bis wir in Richtung Berge abbiegen. Immer höher hinaus geht es über zahllose Kuhweiden, deren Bewohner uns interessiert wiederkäuend mustern, während Paolo uns die Tore öffnet. Menschen treffen wir keine. Nur die einheimischen, cremeweißen Maremmen-Schäferhunde verfolgen uns eine Weile halbherzig bellend, um sicherzugehen, dass wir auch wirklich ihr Revier verlassen. Die Pferde interessiert das wenig und man kann dem Bellen anhören, dass die Hunde es auch nicht wirklich ernst meinen.
Nach einer anstrengenden Kletterpartie machen wir eine kurze Pause für die Pferde und genießen den Ausblick über das Tal: In diesem ländlichen Teil Siziliens, weitab von Massentourismus und konventioneller Landwirtschaft, könnte auch die Zeit stehen geblieben sein. Ich atme tief durch und genieße die Stille. Perla zupft die stacheligen Blätter einer wilden Artischocke am Wegesrand – dieses Pferd frisst einfach alles!
Mit einem letzten Blick zurück reiten wir weiter in Richtung des Nebrodi Naturparks. Auf einem Bergkamm in der Ferne ragt eine Reihe weißer Windräder empor. Ich muss an Don Quichotte denken, den ewigen Bezwinger der Windmühlen, und dass er bei dem Anblick vermutlich voller Eifer seine Lanze schwingen würde. Selene, unsere zweite Guidin, bemerkt meinen Blick: „Zwischen diesen Windrädern werden wir heute Mittag galoppieren!“.
Ich bin immer wieder erstaunt, welche Entfernungen wir zurücklegen: Eine Stunde später ragen die vor kurzem noch wie Spielzeuge wirkenden Windräder vor uns wie Giganten in den Himmel. Mir wird leicht schwindelig, als ich den Kopf in den Nacken lege um bis nach oben zu schauen. Keine Sekunde später kommt Paolos gerufenes „Canter!“ bei mir an. Ich grinse, gehe in den Entlastungssitz und schnalze Perla auffordernd zu. Im gestreckten Galopp fliegen wir über den Bergkamm hinweg, endlose Weite rechts und links von uns, den weißen, sich windenden Pfad vor uns wie ein Band im Himmel. Die Windräder stehen Spalier und es wirkt fast, als würden uns ihre Flügel anfeuern schneller zu reiten.
Der Weg durch den Himmel endet an einem Tor. Hier geht es in das Naturschutzgebiet des Nebrodi Parks und wir tauchen ein in den Schatten des Waldes. Ich bin froh der Sonne zu entkommen und auch die Pferde schnauben zufrieden in der kühlen, grünen Dämmerung. Hohe Bäume verschlingen ihre Äste über unseren Köpfen und moosbewachsene Baumstämme sind tief in der dunklen Erde verwurzelt. Auf einer kleinen Lichtung am Wegesrand wartet Franco mit unserem Mittagessen auf uns. Mein Bauch grummelt beim Anblick des Hühnchens mit Salat und dem unglaublich leckeren Brot aus der Region. Es ist aus einer altertümlichen Weizensorte und hat einen besonders feinen, nussigen Geschmack.
Nach einer ausgiebigen Siesta auf den Pferdedecken reiten wir weiter durch den Wald in Richtung Tal. Immer wieder lassen sich fantastische Ausblicke zwischen den Ästen der Bäume hindurch erhaschen.
Im goldenen Licht der tief stehenden Nachmittagssonne kommen wir in unserem heutigen Zuhause an: Der Biobauernhof „Massema Monte Soprano“ mit luxuriösem Gästehaus und Pool mit Aussicht. Nachdem wir die Pferde versorgt und wohlbehalten zu ihrem Futter auf die Koppel gebracht haben, werden wir übergangslos zu selbstgemachtem Käse, Oliven und Wein auf die Terrasse komplimentiert. Ich halte mich bei den Snacks zurück, Franco hat schon angekündigt, dass das Abendessen heute besonders hervorragend und mit Zutaten aus eigener Produktion ist.
Und er hat nicht zu viel versprochen: Antipasti mit selbstgemachtem Büffelmozzarella, Ricotta, Oliven der Region, Wurst und Parmesan, selbstgemachte Pasta mit der besten Tomatensoße meines Lebens, ein spezieller Rollbraten der Region und einem Dessert aus Ricotta und Früchten. Alles abgerundet mit passendem Wein. Sizilien ist auch kulinarisch ein Erlebnis!
Mit vollem Bauch (es gibt immer reichlich zu Essen – auch wenn man als Vegetarier das Fleisch weglässt wird man problemlos satt) wanke ich nur noch ins Bett und falle sofort in den Schlaf.
Tag 3: Im Nebrodi Naturpark
Gut gelaunt murmele ich Perla Kosenamen ins Ohr, als ich am Morgen mein Lunchpaket und ihr Futter für die Mittagspause in die Satteltaschen packe. Sie blubbert mich freudig an – oder sagen wir: ihren Futtersack. Heute liegt eine der längsten Wegstrecken vor uns: Rund sieben Stunden werden wir durch den Nebrodi Naturpark reiten und viel in weglosem Gelände unterwegs sein, deshalb gibt es das Mittagessen aus der Satteltasche.
Ich schwinge mich auf Perla und freue mich über den bequemen Sattel mit Lammfell. Solche Strecken gehen nur mit gutem Equipment, das es Pferd und Reiter möglichst bequem macht.
Der erste Teil unseres Weges führt uns den Berg hinauf und durch Capizzi, das wir in den letzten zwei Tagen immer nur aus der Ferne bewundert haben. Wie die Schuppen eines Drachen schmiegen sich die Häuser der kleinen Stadt an den Bergrücken, der sich aus der Ebene erhebt. Die Menschen auf den Straßen des geschäftigen kleinen Ortes grüßen uns freundlich, als wir mit klapernden Hufen vorbeireiten.
Schnell lassen wir den Ort und die Zivilisation hinter uns und reiten über gewundene Wege tiefer in den Park. Stundenlang hören wir nichts als den Wind und das Summen der Insekten, sehen nichts als Wiesen, Sträucher und weites, hügeliges Land. Gegen Mittag wird unser Weg abschüssig und das Läuten von Kuhglocken liegt in der Luft. Wir umrunden einen der Hügel und vor uns liegt ein kleiner Bergsee, der das weite, grüne Tal überblickt. Eine Herde Kühe betrachtet uns interessiert, als wir vorbeireiten.
Auf der Wegstrecke durch das Tal fühle ich mich so weit von der Zivilisation entfernt, wie schon lange nicht mehr. Wir haben seit Stunden keine Menschen, Häuser oder Strommasten mehr gesehen, geschweige denn Autos gehört. Ein Teil von mir atmet auf, von dem ich gar nicht bemerkt hatte, dass er angespannt war.Gegen Mittag machen wir an einem verfallenen, kleinen Stall im Tal halt. Hier können wir die Pferde zum Ausruhen und Fressen in den Schatten stellen und uns selbst mit unseren Sandwiches in die Sonne setzen. Eine besonders neugierige Kuh beobachtet uns eine Weile und kommt vorsichtig näher. Nach einigen Minuten schüttelt sie ihren Kopf und wandert gemächlich zum Fressen zurück zu ihrer Herde.
Nachdem ich mir in der Siesta gebührend mein rechtes – und uneingecremtes – Ohr verbrannt habe, feue ich mich, als wir die Wiesen des Tals verlassen und in den Schatten des uralten Eichen- und Buchenwaldes eintauchen. Auch den Pferden gefällt die kühlere Luft und sie gehen eifrig vorwärts. Immer wieder legen wir kurze und längere Galoppaden über Stock und Stein ein und unerschütterlich finden die trittsicheren Pferde ihren Weg.
Seit der Mittagspasue reiten wir mehr oder weniger deutlich bergauf. Gegen Nachmittag, als die Sonne langsam tiefer sinkt und zwischen den Baumstämmen hindurchfunkelt, ziehe ich mir meine Weste über. Es wird nun merklich kühler zwischen den Bäumen, wir sind mittlerweile auf 1500 Metern Höhe. Nach wenigen Minuten erkenne ich ein Haus zwischen den Bäumen: Wir sind an unserem Hotel für die Nacht angekommen, der „Villa Miraglia“, das inmitten des Waldes auf einer Lichtung steht.
Wie immer kümmern wir uns zuerst um die Pferde: Trense und Sattelgurt werden gereinigt und es gibt ein paar Karotten als extra Belohnung für die lange Strecke. Schmutzig und mit geröteten Wangen stehen wir dann an der Tür zum Hotel und bekommen erst mal weiße Slipper, damit wir nicht so viel Dreck in das schicke Restaurant tragen. Aber da hört es dann auch schon wieder auf mit dem Fokus auf Sauberkeit und wir werden ungeachtet unseres ungeduschten Zustandes zu Aperitif, Käse, Wurst, Oliven und Obst an einen Tisch komplimentiert. Ich habe aus den ersten zwei Tagen gelernt und esse hier nicht wirklich viel – das eigentliche Abendessen kommt nämlich später noch!
Zwei Stunden später sitzen wir alle frisch geduscht wieder am Tisch und genießen eine Suppe aus Pilzen der Region. Sie ist nur eine der vielen kleinen Vorspeisen, die ich jetzt schon gar nicht mehr alle aufzählen kann: Frischer Ricotta, verschiende Sorten gebratenes und unterschiedlich gewürztes Gemüse, Kartoffeln, Pilze, Mozzarella, herzhaftes Gebäck, gebratenes Fleisch, … und natürlich passender Wein. Immer wenn ich denke, dass es das war, kommen die Kellner mit einer weiteren Köstlichkeit. Als der Pasta-Gang kommt, bin ich schon so satt, dass ich wirklich mit mir kämpfen muss. Den Fleisch-Gang probiere ich nur noch. So viel zum Thema „ich habe dazugelernt und esse nicht mehr so viele Antipasti“. Das Dessert, eine unglaublich gute Pistazientorte, kommt glücklicherweise mit genug zeitlichem Abstand, dass ich wieder etwas essen kann. Aber Dessert geht ja sowieso immer.
Tag 4: Zwischen Seen und Felsen
„Christina, jetzt musst du deine Kamera bereithalten!“ ruft mir Franco zu. Nach ein paar Metern weiß ich warum: vor uns glitzert ein weiter, wunderschöner See zwischen den Bäumen hindurch. Alle sind sich einig, dass das die angemessene Stelle für einen Fotostop ist. Zeit haben wir auf der ganzen Tour genug, Francos Lieblingsspruch ist: „Ihr seid hier im Urlaub, wir müssen nicht hetzen!“ (Einige Stunden später muss ich das unfreiwillig in Anspruch nehmen, als ich meine Drohne beim Filmen in einen Baum fliege und wir eine halbe Stunde brauchen, um sie wieder runter zu holen – das schwere Leben einer Bloggerin!).
Wir folgen dem Seeufer unter dem bunten Blätterdach der herbstlichen Bäume, bis es uns wieder in den Wald hinein zieht. Im flotten Trab reiten wir auf weichen Wegen zwischen alten Nebroditannen hindurch. Wie abgeschnitten endet der Wald plötzlich vor uns: Unser Weg windet sich zwischen sanft abfallenden Wiesen auf der einen und einem weiteren, großen See auf der anderen Seite. Franco gibt das Signal und im schnellen Galopp fliegen die Pferde über den hellen Sand.
Wir sind kaum wieder zu Atem gekommen, lockt schon die nächste Galoppstrecke im Slalom zwischen den Bäumen hindurch.
An einer Lücke zwischen den Bäumen halten wir an: „Von hier aus würden wir eigentlich den Ätna sehen, aber er ist hinter den Wolken“, sagt Franco. Das ist bisher das Motto der ganzen Tour: „Eigentlich würdet ihr hier den Ätna sehen“. Wir haben unheimliches Glück mit dem durchgehend sonnigen Wetter, aber zum Ausgleich versteckt sich der kapriziöse Vulkan seit Tagen vor uns hinter seinem Wolkenschleier. Bei der wunderschönen Natur um uns herum hält sich die Trauer darüber aber in Grenzen – es gibt so viel zu sehen und zu bestaunen!
Der letzte Teil der Wegstrecke führt uns durch hügelige, grüne Wiesen, die mit hellgrauen Steinen übersät sind. Ich fühle mich wie nach Irland versetzt und staune mal wieder über die Vielfältigkeit Siziliens.
Als wir um einen großen Felsen herumreiten öffnet sich der Blick auf den dritten See des Tages vor uns. Wir reiten die Bergflanke hinunter und traben an seinem sandigen Ufer entlang. Eine einsam Kuh schaut wiederkäuend auf uns hinab.
Vom See aus reiten wir über gewundene Waldpfade wieder den Berg hinauf. In dieser Gegend gibt es keine Hotels, dehalb übernachten wir in einer urigen Hütte der Forstwache. Die letzten paar Meter gehen wir zu Fuß und werden von dem Geruch nach Holzfeuer und einem scheuen Hund begrüßt. Unsere Feldbetten warten in einem Schlafsaal mit prasselndem Kaminfeuer und batteriebetriebenen Lampen auf uns – Strom gibt es nur im Haupthaus.
Nach einer Dusche mit durch Feuer beheiztem Wasser trockne ich meine Haare am offenen Feuer im Kamin des Speisesaals. Im Zimmer nebenan backt Paolo selbstgemachte Pizza und Schokoladenküchlein für uns. Die Unterkunft ist einfach und sehr rustikal und ich befürchte es wird kalt in der Nacht, aber ich würde keine Sekunde davon missen wollen. Die Nacht riecht nach Lagerfeuer und Abenteuer und Tannennadeln. Die Pferde wandern zufrieden fressend um die Hütte, auf der Türschwelle sitzt eine kleine Füchsin, die auf Essensreste hofft und im Wald ruft eine Eule.
Tag 5: Atemberaubende Aussicht
Am Morgen schäle ich mich aus meinem Schlafsack und laufe verschlafen in Richtung Bad im Haupthaus, als ich fast mit einem der Pferde zusammenstoße. Der junge Wallach, der über die nebelverhangene Wiese vor mir wandert und genüsslich sein Frühstück frisst, lässt sich nicht weiter von mir stören.
Als ich um einiges wacher wieder vor die Tür trete, hat die Sonne den Nebel verdunsten lassen und Paolo und Franco machen schon die Pferde fertig. Ich packe meine Satteltaschen und stecke Perla einen kleinen Apfel vom Baum um die Ecke zu.
Mittlerweile sind alle ein eingespieltes Team und innerhalb von Minuten sind wir zum Aufbruch bereit. Wir reiten eine Weile durch den sonnendurchfluteten Wald, bis wir zu einem kleinen Tor kommen. Franco öffnet für uns und wir reiten hindurch, aus dem Wald hinaus und in einen Ausblick, der mir den Atem verschlägt. Unser Weg führt auf einem Bergkamm entlang, links und rechts geht es steil bergab und vor uns liegt der Ätna. Immer noch wolkenverhangen, aber nun endlich mit freiem Gipfel. Ich fühle mich, als würde ich im Himmel reiten und weiß gar nicht, in welche Richtung ich zuerst schauen soll.
Unser Weg führt stetig bergab und das letzte, steile Stück gehen wir zu Fuß um die Pferde zu schonen. Im Tal angekommen reiten wir in schnellem Tempo zwischen kleinen Wäldchen, Weinbergen und den typischen, aus Lavastein gebauten Mauern hindurch, immer auf den Ätna zu. Heute ist der kürzeste Reittag, was sicher nicht nur mit einer kürzeren Etappe, sondern auch mit dem hohen Tempo zu tun hat, in dem wir unterwegs sind. Die geraden Wege zwischen den Wiesen und in den Wäldern laden nur so zum Galopp ein und die Pferde gehen fleißig vorwärts.
Ungewohnt früh kommen wir an einer kleinen Hütte inmitten einer großen, umzäunten Wiese im Wald an. Hier bleiben die Pferde heute Nacht, während wir später in unser Hotel gefahren werden. Zuerst gibt es aber Mittagessen bei den Pferden und eine Demonstration der „Six Keys to Harmony“ von Ed Dabney, durch Paolo und Franco. Beide haben einige Zeit in den USA verbracht und dort diese Methode des sanften Horsemanships erlernt. Seitdem bilden sie ihre Pferde nach diesen Prinzipien aus und das merkt man: alle Pferde der Tour sind freundlich, unerschrocken (sogar die Drohne direkt über ihnen machte ihnen nichts aus) und leicht zu händeln.
Nach dem lehrreichen Nachmittag fährt uns Paolo zum „Fucina del Vulcano“, unserem Hotel mit direktem Blick auf den Ätna – der sich aber ganz schüchtern schon wieder hinter Wolken versteckt. Das wieder einmal wunderbare Essen tröstet uns aber schnell darüber hinweg.
Tag 6: Lavafelder im Nebel
Der Tag beginnt mit schlechten Nachrichten: „Heute soll es regnen, wahrscheinlich haben wir keine gute Aussicht vom Ätna“. Nach einem kurzen Moment der Enttäuschung zucken wir kollektiv mit den Schultern und packen unsere Regensachen in die Satteltaschen. Ändern kann man das Wetter sowieso nicht und über einen aktiven Vulkan zu reiten ist auch ohne spektakuläre Aussicht ein Erlebnis.
Erst mal reiten wir in flottem Tempo durch die Mischwälder am Fuße des Vulkans. Weiche, dunkle Sandböden fliegen im schnellen Galopp unter uns hinweg. Auf einer kurzen Strecke bergab macht mein Bauch einen Hüpfer als Perla nochmal richtig Schwung für den Rest der Strecke aufnimmt. Nach fünf langen Tagen im Sattel kenne ich jede ihrer Bewegungen und mein Körper passt sich ganz ohne mein Zutun von selbst an. Diese Einheit mit dem Pferd und die Selbstverständlichkeit der gemeinsamen Bewegung ist es, die mir an solchen längeren Touren am Besten gefällt.
Ohne Vorwarnung reiten wir aus dem Wald heraus und sind mitten in einem krustigen, faltigen Lavafeld. Schwarzer, poröser Stein so weit das Auge reicht. Und Nebel. Bizarre Gesteinsformationen wabern im Dunst, mal sichtbar, mal verborgen. Lilafarbener Sand knirscht unter Perlas Hufen und hinter mir ertönt ein geisterhaftes Pferdeschnauben. Überwältigt schaue ich mich um – und beginne dem Schicksal zu danken, das uns heute Nebel anstatt Sonne geschickt hat!
Versteh mich nicht falsch, der Ausblick bei gutem Wetter ist sicher spektakulär, aber diese besondere Stimmung im Nebel, die Stille, die gedämpften Farben, die Landschaft wie im Weichzeichner – das ist ein Erlebnis, das seinen ganz eigenen Reiz und eine Besonderheit hat, die man nicht jeden Tag findet.
Andächtig reiten wir weiter durch die bizarre Landschaft, vorbei an wellenförmig erstarrter Lava, tiefen Vulkankratern und seltsamen Steinformationen. Hellgelbe, zähe Grasbüschel bringen Farbtupfer in die schwarzen Ebenen. Ansonsten wächst nichts, obwohl der Lavafluss, der hier vor vielen Jahren rotglühend seine Bahn zog, längst erkaltet und erstarrt ist.
Franco hat viel Interessantes über die verschiedenen Vulkanausbrüche und die Geologie der Region zu erzählen, aber ich bin zu abgelenkt damit die Landschaft in mich einzusaugen, um ihm richtig zuzuhören (Du musst also selbst einmal hinfahren, wenn Du mehr Infos möchtest).
Nach einiger Zeit windet sich der Weg wieder bergab und der Nebel wird zu Regen. Wir ziehen die Krägen höher und vergraben unsere Nasen in den Jacken. Aber wir müssen nicht lange durchhalten: nach 15 Minuten kommen wir an einem Parkplatz an einer Flanke des Ätna an und der Transporter für die Pferde wartet schon auf uns. Hier trennen sich unsere Wege. Für die Pferde geht es nach Hause und in die wohlverdiente Pause, für uns geht es ins Hotel und am nächsten Morgen nach Hause. Für lange Abschiede bleibt aufgrund des mittlerweile sintflutartigen Regens keine Zeit. Ich gebe Perla noch ein letztes Stück Karotte, bedanke mich bei ihr und streiche ihr zum Abschied über die Nase.Im gemütlichen, skihüttenartigen Hotel „Ragabo“ im Wald, springe ich erst mal zum Aufwärmen unter die heiße Dusche. Mit noch nassen Haaren geht es dann in den Gemeinschaftsraum mit Kamin, zu einem letzten Bier (oder Kaffee) mit Franco, Paolo und Selene. Sie haben heute noch einiges an Arbeit mit der Versorgung der Pferde vor sich und können nicht zum Abendessen bleiben. Nach dem herzlichen Abschied lassen wir den Abend bei leckerem Essen, gutem Wein und netten Gesprächen ausklingen.
Ein passender Abschluss für die traumhafte Woche in Sizilien.
♥ Du willst auch durch Sizilien reiten? Dann findest Du hier alle Infos zur Tour und Buchung!
♥ Hier gibt es noch mehr Fotos von der Tour!
*Vielen Dank an Pegasus Reiterreisen für die Einladung. Alle Meinungen sind wie immer meine!*
Freue mich den tollen Bericht über den Sizilienritt entdeckt zu haben.danke Beatrice
Dankeschön =)