
Heute schreibe ich mir etwas von der Seele, was dort schon eine Weile vor sich hin gärt.
Das wird also ein etwas persönlicherer Post als das meistens der Fall ist. Und wie immer werde ich ehrlich sein, auch wenn das nicht immer leicht fällt. Schließlich lasse ich salopp gesagt vor ziemlich vielen Leuten die Hosen runter und mache mich angreifbar.
Ich gehöre zu den “seltsamen” Menschen, die beim Pferdetraining sowohl Negative Verstärkung – also zum Beispiel Methoden des Natural Horsemanship Trainings – und Positive Verstärkung – also zum Beispiel Clickertraining – benutzen.
Negative Verstärkung bedeutet, dass man auf das Pferd physischen oder psychischen Druck ausübt und es bei richtiger Reaktion durch das Wegnehmen dieses Drucks belohnt. Übrigens: Wenn ich von Druck spreche meine ich immer sanften Druck, es geht hier nicht darum das Pferd zu verletzen oder zu strafen! Positive Verstärkung bedeutet, dass das Pferd für richtiges Verhalten belohnt wird. Das muss nicht unbedingt ein Futterlob sein, sondern kann zum Beispiel auch das Kraulen der Lieblingsstelle sein.
Unbedingt lesen: Alessa Neuner hat einen sehr lesenswerten Artikel über die verschiedenen Trainingsmöglichkeiten und die dazugehörigen Begriffe geschrieben.
Nun sind die etwas dogmatischeren Anhänger dieser beiden Richtungen aber meist nicht gut aufeinander zu sprechen. Und je nachdem was ich gerade mache oder über was ich gerade schreibe kriege ich entweder von der einen Gruppe oder von der Anderen eins auf den Deckel.
Entweder ich bin eine “doofe Tüddeltante” und verhätschele mein Pferd oder ich bin ein “fieser Seilchenschwinger”, der sich seinem Pferd aufzwingt und keine eigene Meinung mehr zulässt.
Das tut manchmal ganz schön weh.
Denn wie wohl die meisten Reiter habe ich zuallererst das Wohl meines Pferdes zum Ziel. Ich möchte, dass es ihm gut geht und dass es ein möglichst artgerechtes und schönes Leben führen kann.
Als jemand, der beide Seiten kennt und sowohl das Gute, als auch das Schlechte in beiden Seiten sieht möchte ich Folgendes loswerden:
Liebe Tüddeltanten,
ich mag euch echt gerne – schließlich bin ich auch eine von euch. Wir Tüddeltanten sind einfühlsam und rücksichtsvoll. Für unsere Pferde würden wir noch unser letztes Hemd hergeben und ihr Wohl stellen wir über unser eigenes.
Ich finde es toll wie ihr mit euren Pferden umgeht und dass ihr ihnen zuhört. Und ich finde es toll, dass ihr einen Weg ohne physischen oder psychischen Druck gehen wollt.
Aber manchmal macht ihr mich auch sehr traurig.
Denn manchmal habe ich das Gefühl, dass alle, die nicht so vorgehen wie ihr, in euren Augen nur Tierquäler sind. Es gibt ein paar, die stehen mit (virtuell) erhobenem Zeigefinger da und verurteilen Andere.
Ich denke es ist naiv zu glauben, dass man alles ausschließlich mit positiver Verstärkung lösen kann. Sobald wir auf dem Pferd sitzen, arbeiten wir mit negativer Verstärkung. Wir üben – durchaus sanften – Druck durch die Gewichtshilfen, die Schenkel- und Zügelhilfen aus. Tut das Pferd das Gewünschte, lassen wir diese Hilfen ruhen und nehmen somit den Druck weg. Wir berühren das Pferd beim Putzen am Oberschenkel, damit es mit seinem Hinterteil Platz macht – und wenn es das tut hören wir auf. Die Definition von negativer Verstärkung. Allein unsere Anwesenheit kann bereits Druck sein. Ein Blick. Die Verlagerung des Gewichts. Unsere Erwartungshaltung.
Ich habe in meinen zwei Jahrzehnten mit Pferden auch Pferde getroffen, die auf die Leckerlibelohnung pfeifen. Wie eine nette Leserin vor kurzem schrieb: “einem Pferd in Angst und Panik fällt die schönste Mohrrübe aus dem Maul”. In akuten Gefahrensituationen muss ich sicherstellen, dass mein Pferd nicht sich, mich, oder Andere verletzen kann. Und ja, dann setze ich auch Druck ein.
Liebe Seilchenschwinger,
auch euch finde ich toll – denn auch zu euch zähle ich mich. Wir Seilchenschwinger sind einfühlsam und aufmerksam. Für unsere Pferde würden wir noch unser letztes Hemd hergeben und ihr Wohl stellen wir über unser eigenes.
Ich finde es toll wie ihr mit euren Pferden umgeht, dass ihr ihre Sprache sprecht. Und ich finde es toll, dass ihr das Pferd Pferd sein lasst und es nicht zum Schoßhündchen degradiert.
Aber manchmal macht auch ihr mich traurig.
Manche sehen in jedem Aufblitzen von Eigeninitiative des Pferdes eine Widersetzlichkeit. Das Pferd wird gemicromanagt und soll auf jedes Kommando perfekt reagieren. Wenn ich meinem Pferd ein Leckerchen aus der Hand gebe stehen einige mit (virtuell) erhobenem Zeigefinger da. Wenn es kurz von mir wegschaut soll ich am Seil rucken.
Ich finde, nicht jedes Pferd muss so kontrolliert werden. Nicht jede seiner Regungen bedeutet, dass es uns böses will oder unsere Führerschaft anzweifelt. Und ich bin fest davon überzeugt, dass die meisten Pferde nicht permanent eine Lücke suchen um den Menschen dominieren zu können oder dass wir dem Pferd nicht auch mal gefahrlos etwas durchgehen lassen können.
Nicht jedes Pferd kommt gut mit Druck klar. Ich kenne Pferde, die durch ein Training mit positiver Verstärkung sehr viel motivierter, glücklicher und lebensfroher sind. Zurückhaltende Pferde blühen richtiggehend auf, wo sie vorher nur in sich gekehrt Anweisungen befolgt haben.
Die Suche nach Balance
Nicht nur in meinem täglichen Leben, sondern auch vor allem als Reiterin suche ich die Balance. Ich bin der Überzeugung, dass jegliches Extrem nicht gut sein kann.
Auch im Pferdetraining braucht man Balance. Es ist eine Gratwanderung zwischen Mitspracherecht und nötigem Gehorsam, Nachgiebigkeit und Konsequenz, Übervorsicht und Leichtsinn. Positiver und Negativer Verstärkung.
Wie immer im Leben wird es Ausnahmen geben: Pferde, die man ausschließlich mit positiver Verstärkung trainieren kann und Pferde, die nur mit negativer Verstärkung völlig zufrieden sind. Mein Weg ist keines dieser Extreme.
Mein Weg ist der Balanceakt. Das hören auf Kopf, Herz und Bauch. Das Hereinhorchen in mein Pferd. Das Denken außerhalb von Schubladen und dogmatischen Glaubenssätzen.
Die Diskussion Positive versus Negative Verstärkung erinnert mich übrigens sehr an die Diskussion über autoritäre und anti-autoritäre Erziehung bei Kindern. Ich glaube jeder von uns kennt mindestens ein anti-autoritär erzogenes Kind. Das können furchtbare, unerträglich verzogene Plagen sein oder aber auch umgängliche, freundliche Kinder. Wenn es für das Kind passt ist es super, wenn nicht ist es eine Katastrophe.
Genauso wie bei der Kindererziehung gibt es im Pferdetraining keinen einen richtigen Weg der für alle passt. Deshalb wünsche ich mir etwas mehr Toleranz und Akzeptanz anderen Wegen gegenüber. Nur weil ein Weg in eine andere Richtung führt als ein anderer heißt das nicht, dass nicht beide zum selben Ziel kommen und dass man nicht beide partnerschaftlich und fair mit seinem Pferd gehen kann.
Denn am Ende bin ich nur einem Rechenschaft schuldig: meinem Pferd!
Um es mit Nuño Oliveiras Worten zu sagen: “Ich fordere die Reiter, welche mich lesen und Pferde dressieren auf, wenn sie nach einer Arbeitseinheit absitzen, ihr Pferd anzuschauen, in sich zu gehen und ihr Gewissen mit der Frage zu prüfen, ob sie sich wohlverhalten haben gegenüber diesem außergewöhnlichen Lebewesen, diesem bewundernswerten Compagnon – dem Pferd.”
Was ist Deine Meinung zum Thema? Nutzt Du Positive oder Negative Verstärkung? Oder nutzt Du, wie ich, beides? Ich freue mich auf eine nette Diskussion in den Kommentaren!
Lesetipp: Tanja von Tash Horseexperience hat sehr amüsant über die Wattebauschwerfer und Seilchenschwinger geschrieben.